Raffen die Besucher das?

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

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Es kommt nicht häufig vor, dass Ausstellungen sich schon vor ihrer konkreten Widerspiegelung ideologischem Verdacht aussetzen. Wenn es doch einmal geschieht, wie im Falle der geplanten RAF-Schau in den Berliner Kunst-Werken, hört man aus der Kritik ein längst obsolet geglaubtes herrisches Zensurbedürfnis heraus, das den Charakter von geschichtspolitisch strittigen Kunstkonzepten gleich mehrfach zu delegitimieren versucht: moralisch, politisch und ästhetisch. Nichts anderes bedeutete der Chor der Entrüsteten, die der RAF-Ausstellung eine politische Verherrlichung des deutschen Terrorismus unterstellten – um in Wahrheit ihre Angst um Deutungsversuche zu kaschieren. Die Botschaft lautet: Eine Korrektur des RAF-Bildes, der Akteure und Geschichte und selbst der Kunst, die sich mit ihr auseinander setzt, findet nicht statt.

Vor diesem Hintergrund ist es viel, dass die Kunst-Werke ein neues Konzept aufgelegt haben und die vornehmlich künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema suchen. By the way: Das macht sie nicht weniger angreifbar als mit dem ursprünglich geplanten Kunst-Doku-Programm, belegen manche Kunstwerke doch gerade ihren eigenständigen Aussagewert.

Immerhin. Der Bezug auf die Kunstgeschichte befreit ein wenig von ideologisch unterstellten Implikationen. Und außerdem: Wann hat es schon eine so genannte RAF-Retrospektive mit Richter, Beuys, Fassbinder und anderen gegeben – und das im Zusammenhang der Terrorismusdebatte nach dem 11. September?

Dennoch: Die Hinwendung zur reinen Kunstpräsentation hinterlässt eine kontextuelle Lücke, die schlichtweg real existiert. RAF bedeutet einen Konflikt, der bei einer Schau nur innerhalb und außerhalb von Kunst zu verorten ist. Mit „Mythos RAF“ hatten die Kunst-Werke zum einen das Konzept im Blick, das die Kunst in ihrem eigens thematisierten politisch-gesellschaftlichen Kontext aufgehen lassen wollte. Was schadet es, neben Feldmanns Fotostrecke „Die Toten 1967–1993“ deren Geheimnis zu offenbaren? Was schadet historische und personelle Differenzierung versus dem Prinzip ästhetischer Egalisierung?

Zum anderen hatten die Kunst-Werke samt ihrer Partner erkannt, dass die Geschichte der RAF als auch die ihrer künstlerischen Rezeption – wenn nicht einmal geklärt – schon gar nicht historisch kongruent erfahrbar war und ist. Der enorme Bedarf an doppelter Aufklärung weist damit nicht nur in Richtung Osten, wo Berlins Kultursenator Flierl ein „RAF-Defizit“ der DDR-Bürger erkannt hat. Mit dem Argument der „Entmythisierung“ als Strategie gegen die banale „Verpoppung“ der RAF sollte genau jenem aktuellen Geschichtsbild widersprochen werden, das sich mit kultigen Baader-Meinhof-T-Shirts ebenso dämlich geriert wie das seiner Gut-Böse-Vorgänger.

Schließlich ist die Frage „Können die KW als Ausstellungshalle eine Kunst-Doku-Schau mit wissenschaftlichem Anspruch überhaupt leisten?“ falsch gestellt. Keiner will, dass die Kunst-Werke zur Pinnwand für langweilig-didaktische Infotexte der Bundeszentrale mutieren. Es geht vielmehr um das Selbstverständnis: Nicht allein, dass sich die Kunst-Werke schon immer als Institution zwischen Visualisierung und Aufarbeitung verstanden haben. Die Rolle der Kunst als Medium zur Entlarvung gesellschaftlicher Tabus und ihre Verortung ist gerade in den KW neu und richtig gestellt worden. Bei der RAF soll das jetzt anders werden? Die KW sind kein Museum.