Welche Demo hätten Sie denn gern?

Zusammen waren am Montagabend auf Berlins Straßen mehr als 15.000 gegen Hartz IV unterwegs. Bloß protestierten sie leider getrennt. Viele der Teilnehmer wussten nicht von der Spaltung und überließen sich dem Zufall. So auch der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele

VON STEFAN KLOTZ
UND FELIX LEE

Ratlosigkeit allenthalben. Auch bei Christian Ströbele, seines Zeichens Bundestagsabgeordneter der Grünen. Zu spät war er dran und musste deshalb kräftig in die Pedale treten, um den Montagsmarsch Richtung Willy-Brandt-Haus einzuholen. Auf Höhe des Moritzplatzes gelang ihm das. „Irgendwelche Spalter seien am Werk“, hatte man ihm vorher zwar mitgeteilt. Mehr bot sein Wissensstand zur Lage der Anti-Hartz-Kampagne in Berlin aber nicht.

War es also Zufall, dass er ausgerechnet auf jener der beiden Montagsdemos landete, die nicht zur Grünen-Zentrale zog, sondern der der SPD? Oder marschierte er gar mit Absicht bei der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) mit, die es schon wie in der Woche zuvor sehr eilig hatte, mit dem Demozug den Alex zu verlassen? Auch gestern hatte sie damit Erfolg. 5.000 Menschen folgten ihr, nicht alle von ihnen dürften Sympathisanten der Marxisten-Leninisten gewesen sein.

Lars Woite blieb standhaft. Schon lange vor 18 Uhr stand Woite mit dem roten Banner der IG BAU am Ausgang des S-Bahnhofs Alex. Er sollte die Protestwilligen abfangen und zur Konkurrenz-Demo am Roten Rathaus lotsen. Bei den Unbeteiligten stiftete er damit aber nur zusätzliche Verwirrung.

Zum Beispiel bei Carola Nest und ihrem Mann Detlef: „Warum die Spaltung?“. Als Marxist wollte Detlef aber nicht gebrandmarkt werden. So entschied sich das Pärchen fürs Rote Rathaus.

Nicht alle waren aufgeklärt. Obwohl Woite sich alle Mühe gab, lief Andreas in Richtung Willy-Brandt-Haus mit. „Ich habe nicht verstanden, was das mit den beiden Routen soll“, gesteht er. „Man trifft sich doch immer auf dem Alex.“ So dachte er jedenfalls, der verdutzte Verwaltungsangestellte.

„Einmal 10.000 machen doch mehr Eindruck, als da 5.000 und dort 5.000“, sagt auch Rentner Helmar Kolbe. Seit 50 Jahren ist er Gewerkschaftsmitglied und wundert sich, dass Ver.di für einen anderen Protestzug trommelt. Ist auch schwer zu verstehen, wenn der DGB den Tross Richtung SPD-Zentrale zu unterstützen scheint. Schließlich bildete eine Banderole mit dem DGB-Logo die Spitze des Marsches. Nur kurz schnarrte der Lautsprecherwagen noch die griffige MLPD-Parole „Weg mit Hartz IV, das Volk sind wir“. Dann setzte sich der Demo-Zug auch schon in Bewegung.

Dass es auch ohne „Das Volk sind wir“ geht, zeigte die andere Demo gegen Hartz IV, die zur Grünen-Zentrale führte. Auf Hartz-Papier reimt sich genauso gut „eins, zwei, drei, vier“. Und das brüllte die junge Frau vom Attac-Lautsprecherwagen unermüdlich in die Menge und hielt zumindest die jungen Demonstranten auf Trab. Aktivist Sascha Kimpel vom Sozialbündnis war sichtlich erleichtert, dass der Aufruf bei so vielen Protestierwilligen gefruchtet hatte.

Waren es 10.000, 15.000 oder gar 30.000, wie zwischendurch vom Lautsprecherwagen verkündet wurde? Zumindest dauerte es Ewigkeiten, bis der Zug vorbeigezogen war. Und es gab Unterschiede im Vergleich zur Montagsdemo vor einer Woche: Viel mehr Fahnen und Transparente wehten in der Luft, die Demonstranten waren bunter, kreativer.

Zu Beginn sprach Peter Grottian. Nur mit Mühe hatte es der bandscheibengeplagte FU-Politologe auf die Pritsche des kleinen Lautsprecherwagens geschafft. Müde wirkte er. Doch als er dann tief Luft holte, um zur Rede anzusetzen, war sein Kampfgeist wieder da. „Wer soziale Grundrechte mit Füßen tritt, erntet unseren Widerstand“, rief er, sprach von „zivilgesellschaftlichem Ungehorsam“, von Arbeitsämtern, die besetzt werden müssten, und einem „Bürgerstreik“. Hatten ihn vor wenigen Wochen selbst Aktivisten aus den eigenen Reihen belächelt, erntete er an diesem Abend für dieselben Worte Applaus.

Nur in einem Punkt wird Grottian nicht Recht behalten. „Ab nächsten Montag darf es nur eine Demonstration geben“, hatte er gesagt. Dazu wird es wohl nicht kommen. Am Ende der Demo hieß es vor dem Willy-Brandt-Haus: Bis zum nächsten Montag um 18 Uhr wieder auf dem Alex. Vor der Grünen-Zentrale verabredete man dasselbe, bloß eben am Roten Rathaus. Bleibt abzuwarten, wie sich Ströbele entscheidet.