: Ein Kasperltheater
In Österreich wird die Rechtschreibreform nicht reformiert. Auch die Presse fällt als Bannerträger der Gegenreform aus
Die Damen und Herren der Rechtschreibkommission trennten sich Montag nach einem Treffen in Wien ohne spektakuläre Ergebnisse. Auch das imperiale Ambiente der alten Kaiserstadt konnte sie nicht zu einer Diskussion über ein Zurück zur alten Orthographie (oder Orthografie) inspirieren. Bleiben doch gerade in Österreich die Bannerträger der Gegenreform im Grunde isolierte Stimmen.
„Schluß damit!“, hatte Hans Dichand, Herausgeber der auflagenstarken Kronen Zeitung, am 12. August in einem Aufruf unter seinem Pseudonym Cato gefordert. Wie die Strategen der Springer-Presse hatte er das Murren gegen manche Auswüchse der neuen Rechtschreibung als Auftrag verstanden. Die „in überflüssiger bürokratischer Regelungswut“ entstandene Reform sei ein „großer Fehler“ gewesen. Rasches Handeln sei angesagt, „denn im August nächsten Jahres wird der uns aufgezwungene Irrsinn verbindlich“. Während Catos Diktum nach den alten Regeln verfasst war, folgte der Rest des Boulevardblattes allerdings der neuen Schreibung. Der 82-jährige Dichand, der sich auf Wunsch der WAZ-Hälfteeigner aus der Chefredaktion zurückziehen musste, kann sich nicht mehr durchsetzen. Selbst die konservative Presse, die alte Tante der österreichischen Tageszeitungen, gab ihren Widerstand auf und fügte sich in das Unvermeidliche.
Damit folgen die Printmedien wohl der Vernunft. Denn eine ganze Schülergeneration ist inzwischen herangewachsen, die nur mehr nach den neuen Regeln gelernt hat. Dementsprechend verständnislos zeigte sich denn auch Kurt Nekula, der Vorsitzende des Dachverbandes der Elternvereine an den Pflichtschulen. Das Hin und Her sei ein „Kasperltheater“, das an den eigentlichen Sorgen der Eltern vorbeigehe. Stundenkürzungen, steigende Klassen-Schülerzahlen und das sukzessive Streichen von Angeboten, die über den Lehrplan hinausgehen, entrüsten die Eltern viel mehr. Die SPÖ-nahe Aktion Kritischer SchülerInnen (AKS) wünscht sich eine radikalere Reform: Großschreibung, das stumme h und das „ß“ seien ganz zu streichen.
Auch eine andere Beobachtung Catos scheint eher vom Wunschdenken bestimmt: „Die meisten Politiker bei uns haben mittlerweile bemerkt, wie sie einmal mehr an der Bevölkerung vorbeiregiert haben; ein guter Grund, auf sie zu hören. Vielleicht hat ihre Einsichtsfähigkeit endlich doch etwas zugenommen.“ Die regierende ÖVP samt ihrer Bildungsministerin Elisabeth Gehrer steht geschlossen hinter der Reform. In den anderen Parteien wird gelegentlich diskutiert, was etwa die Wiener Grünen zwecklos finden: „Die Politik ist nicht dazu da, die SchülerInnen zu sekkieren.“ Der Erste, der wirklich dafür sei, „dass für die österreichischen SchülerInnen wieder die alte Schreibweise zu gelten hat, soll die Hand heben und dann einige triftige Argumente dafür anführen“, so die grüne Bildungssprecherin Susanne Jerusalem.
Das Manifest einiger LiteratInnen, angeführt von Marlene Streeruwitz, Peter Henisch und Robert Schindel, das eine eigene österreichische Rechtschreibung fordert, stieß indessen nicht nur bei einigen Kollegen, sondern vor allem in Westösterreich auf Unverständnis. So empörte sich ein Leserbriefschreiber aus Rum in Tirol über die postulierten Weihen für Powidl, Marillen und Schlagobers: „Obers ist nicht österreichisch, sondern rein wienerisch, österreichisch ist Schlag bzw. Schlagrahm.“
RALF LEONHARD