: Sozialismus ist Revolution plus Bildung
Kuba ist in seiner „dritten revolutionären Bildungsetappe“ angelangt – in zehn Jahren will man das beste Bildungssystem der Welt haben. Dafür werden tausende neuer Lehrer ausgebildet. Die unterrichten nur noch 15 Schüler pro Klasse. Allerdings: Der Nachwuchs wird mit viel Ideologie vollgepumpt
von ANNA LEHMANN
Nur noch dreißig gegen einen. Das Land Berlin hat in seinem Schulgesetz eine Höchstgrenze für die Anzahl der Schüler gesetzt, die ein Lehrer unterrichtet. Was in der deutschen Hauptstadt als Fortschritt verkauft wird, ist anderswo eine Selbstverständlichkeit. Das Dritte-Welt-Land Kuba hat sich eine neue Schallmauer gesetzt: Ein Lehrer soll in der Oberstufe vor maximal 15 Schülern stehen. In zehn Jahren, so das Ziel, wollen die kubanischen Kommunisten das beste Bildungssystem der Welt haben.
Während sich die Industriestaaten diesseits des Atlantiks gegenseitig ermahnen, ihre Bildungsausgaben aufzustocken, steckt das Entwicklungsland Kuba über zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Schulen, Hochschulen und Kultureinrichtungen. „Wir haben kein Öl, keine Mineralien, keine Wälder. Unsere Hauptressource sind das Wissen und die Intelligenz der Kubaner“, sagt der Vorsitzende der kubanischen Bildungsgewerkschaft, Luis Abreu Mejias.
Mejias weilte kürzlich auf Einladung der hiesigen Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft in Deutschland. Wie alle gesellschaftlichen Einrichtungen auf Kuba ist auch die Bildungsgewerkschaft eine hundertprozentige Tochter der kommunistischen Partei, und Mejias, ein Funktionär in Sprache und Duktus, ein Gesandter Fidel Castros. Seine Botschaft: Sozialismus ist Revolution plus Bildung.
Vor zwei Jahren hat die Regierung die „dritte revolutionäre Bildungsetappe“ eingeleitet: Die Anzahl der Schüler pro Klasse wird radikal verringert, Lehrer unterrichten auch in der Oberstufe sämtliche Hauptfächer und sind damit einer Klasse statt einem Fach zugeordnet. Die Schulen werden technisch hochgerüstet – auch die kleinste Dorfschule bekommt Computer und Internet. Die Losung lautet: „Junge Menschen gut auf die Zukunft vorbereiten.“
Was gut ist, wird von oben entschieden: „Eine zentrale Stelle sucht aus, auf welche Internetseiten die Schüler Zugriff haben“, berichtet Mejias. Und ergänzt väterlich: „Wir haben doch kein Interesse daran, unsere Kinder schlecht zu bilden.“ Die Schüler sollen zu revolutionären und patriotischen Menschen herangezogen werden. Zu Menschen, so Mejias im besten Sozialistenlatein, „die die Geschichte ihres Landes kennen und die Anstrengungen des Volkes zur Erreichung der Freiheit“.
Ricardo Gessa hat diese Ausbildung zwölf Jahre lang durchlaufen. Seit 1999 lebt der Journalist in Deutschland. Er ging auf Dienstreise – und kehrte nicht wieder zurück. In den Augen der kubanischen Regierung ist er ein Verräter. Das Journalistikstudium steht nur jenen offen, die sich in einer Aufnahmeprüfung als loyale Befürworter der Regierung beweisen. Im Gegensatz zu seiner Schwester, ebenfalls Journalistin, ist Gessa vom Glauben abgefallen.
Dabei verlief seine Schullaufbahn reibungslos. Er war, wie alle Kinder, bei den Jungen Pionieren, später in der Union Junger Kommunisten. „Wenn man gut in der Schule war, wurde man hinein gewählt. Man konnte schlecht nein sagen.“
Neben den Naturwissenschaften ist Geschichte ein bildungspolitischer Augapfel des Kubanischen Schulsystems. „Die Geschichte Kubas, das ist die Geschichte der Revolution“, erzählt Gessa. „Wobei die Revolution natürlich das Ende der Geschichte ist.“ Er schluckte die ideologische Dosis, die schon in der Unterstufe mit dem Fach „Das politische Leben meiner Heimat“ verabreicht wurde. Er und seine Mitschüler arbeiteten während der Ferien in der Landwirtschaft. Brav absolvierte er auch die militärische Grundausbildung von der siebten Klasse an. „Wir haben Guerilla gespielt, uns versteckt und mit Waffen trainiert. Aber ehrlich gesagt, hat keiner das so richtig ernst genommen.“ Ernster wurde es, als ein Mitschüler der Schule verwiesen wurde: Er hatte die Hosenbeine der Schuluniform der Mode entsprechend unten erweitert.
Richtige Zweifel kamen Gessa, als er sich 1990 an der Universität von Havanna einschrieb. Die sozialistische Welt veränderte sich – auf Kuba stand die Zeit still. „Ich fing an, mit dem Gedanken der Ausreise zu spielen.“ Er sparte für ein Visum, das 50 Dollar kostet plus 300 Dollar Genehmigungs- und Bearbeitungsgebühr. Zum Vergleich: Ein Lehrer verdient im Monat zwischen 320 und 500 Pesos, etwa 16 bis 25 Dollar. „Wer kann, versucht in der Touristikbranche unterzukommen“, meint Gessa. Denn dort verdiene man harte Dollar.
Angesichts der niedrigen Löhne im staatlichen Sektor zweifelt Gessa, ob die kubanische Regierung genügend Studenten für den Lehrerberuf motivieren kann. Gegenwärtig werden 7.000 Lehrer zusätzlich in den pädagogischen Hochschulen ausgebildet, um die kleineren Klassenstärken zu realisieren. Nach einem Jahr arbeiten sie bereits als Assistenzlehrer neben dem Studium. Noch sei der Bedarf aber nicht gedeckt, räumt Gewerkschaftsvorsitzender Mejias ein. „Doch wir sind dabei, den Unizugang für alle zu ermöglichen, in jeder Fabrik soll es eine Außenstelle der Universität geben“, sagt er siegesgewiss.
Die Stimmung im Lande sei schlecht, konstatiert hingegen Gessa. Einmal im Jahr darf er seine Familie besuchen: „Die Regierung braucht das Geld von denen, die im Ausland leben. Es soll mehr sein als der Tourismus einbringt“, meint er lapidar. „Wenn Castro fort ist, dann wird alles zusammenbrechen“, sagt er düster. Dann werde es einigen besser und vielen schlechter gehen.