Bolognese-Mix noch schal

Der 1999 in Bologna eingeleitete Prozess, die Hochschulbildung innerhalb Europas kompatibel zu machen, läuft langsam

aus Berlin CHRISTIAN FÜLLER

Wenn’s um Wissen geht, liebt Europa die Superlative. Als die Europäische Kommission jüngst ein Papier zur „Rolle der Universitäten in Europa“ herausgab, stellte sie hohe Ansprüche. Man brauche ein „blühendes Hochschulwesen“, heißt es da, um den alten Kontinent „zum dynamischsten und wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen“.

Die Europäer, so lautete die Botschaft der Kommission, sind bereit. Der alte Kontinent ist gewillt, es mit den USA im globalen Wettbewerb um Innovationen und Eliten aufzunehmen. Auch einen Termin nannte die Kommission. Bis 2010 soll Europa bei Forschung und Entwicklung weltweit an der Spitze stehen. Der Countdown läuft.

Das ist der Hintergrund, vor dem über 40 europäische Bildungsminister heute und am Freitag in Berlin zusammenkommen. Ihre Aufgabe ist es, vor der Erringung der geistigen Weltherrschaft zunächst einmal Barrieren beiseite zu räumen. Denn ein Studium quer über den Kontinent ist nach wie vor eine Sisyphusarbeit: Gastaufenthalte müssen Studenten meist selbst organisieren. Die EU stützt die Reisen nur mit mickrigen Stipendien. Und nach der Rückkehr an die Heimatuni geht die Arbeit erst richtig los: Die Studienleistungen aus dem Ausland müssen akribisch dokumentiert sein – sonst werden die Scheine zu Hause nicht anerkannt.

Damit sich das ändert, hatten die Wissenschaftsminister bereits 1999 in Bologna beschlossen, Europa zu einem offenen Hochschulraum zu machen. Glaubt man ihren Verlautbarungen, dann müsste mit dem akademischen Hürdenlauf bald Schluss sein. Die Studierenden, die wichtigsten Akteure des Fortschritts, sollen sich hindernisfrei in den Hochschulen zwischen Helsinki und Neapel, zwischen Breslau und Porto bewegen können – um neue hochwertige Abschlüsse wie Bachelor und Master zu erringen (siehe Kasten).

Auf ihrer Berliner Konferenz wollen die Minister bilanzieren, wie weit der so genannte Bologna-Prozess fortgeschritten ist. Das Ergebnis fällt, jenseits aller hochtrabenden Communiqués, ernüchternd aus. Von Superlativen keine Spur. Gerade in Deutschland geht es langsam voran. Bestes Beispiel dafür ist das Kernelement des Hochschulraums Europa – die Abschlüsse Bachelor und Master.

In ihrem nationalen Bericht müssen die deutschen Wissensmanager einräumen, dass erst 18.945 Studierende in den neuen europatauglichen Studiengängen eingeschrieben sind – von knapp zwei Millionen Studenten in Deutschland insgesamt. Immerhin haben die Hochschulen hierzulande bereits 1.600 Bachelor- und Masterprogramme eingerichtet. Allerdings sind erst 438 von ihnen akkreditiert, das heißt durch unabhängige Agenturen auf ihre Qualität geprüft und anerkannt worden.

Die Wissenschaftsminister der Bundesländer, die in Deutschland das Sagen haben, verhehlen ihre Enttäuschung nicht. „Es liegt auf der Hand“, sagte etwa der rheinland-pfälzische Wissenschaftsminister Jürgen Zöllner (SPD) der taz, „dass wir nicht so weit sind, wie wir gerne sein wollten.“ Wie Zöllner, der die SPD-regierten Länder koordiniert, stößt sich auch sein bayerischer Kollege Hans Zehetmair (CSU) nicht allein an der Zahl, sondern an der Güte der neuen Studiengänge. Man müsse in Berlin zu einem Qualitätskonsens kommen.

Es gibt aber eine noch viel tiefer gehende Kritik am deutschen Bolognese-Mix. Studierende und der Bund demokratischer WissenschaftlerInnen unterstellen, in Deutschland werde die Bachelordebatte genutzt, um etwas ganz anderes zu bewirken. „Die deutschen Kultusminister haben die Abwehr von Studenten zu ihrem erklärten Ziel gemacht“, sagt etwa Bastian Gronloh vom Freien Zusammenschluss der Studierendenschaften, dem deutschen Studentendachverband.

Gronloh meint damit einen Beschluss der Kultusministerkonferenz, nach dem der Eintritt ins Masterstudium „von besonderen Zugangsvoraussetzungen abhängig zu machen“ sei. In der Tat liefe das auf eine Drosselung der Studentenzahlen hinaus. Mancher Kultusminister, wie etwa Hamburgs Jungstar Jörg Dräger (parteilos), will den Übergang von Bachelor zu Master gar durch Quoten verengen – auf 40 Prozent. Eine Idee, die im Widerspruch zum EU-Ziel steht, mehr Akademiker auszubilden.

Alles andere als zufrieden mit dem bisherigen Bologna-Verlauf sind auch jene, die die künftigen Absolventen vertreten. „Die Wirtschaft hat die Umstellung auf Bachelor gefordert – und jetzt hält sie sich mit der Einstellung zurück“, ärgert sich Dietmar von Hoyningen-Huene vom Verein Deutscher Ingenieure. Zahlen gibt es dazu keine. Aber von Hoyningen weiß von einer doppelten Ablehnung zu berichten: Die großen Unternehmen stellten lieber Masterabsolventen ein. Dem Mittelstand wiederum würde der Bachelor schlicht nichts sagen: „Die kennen ihre Diplomingenieure, was die Bachelors wert sind, wissen sie nicht.“

Selbst der für den deutschen Akademikerarbeitsmarkt so wichtige öffentliche Dienst ist den Bachelors bislang versperrt. Verantwortlich dafür sind die Innenminister der Bundesländer, die sich mit dem Abschluss noch nicht angefreundet haben. Von ihnen wird daher immer lauter ein klärendes Wort über das Schicksal der Bachelorstudenten gefordert.

„Die Bachelors sind im öffentlichen Dienst bislang nur zweite Schublade – das darf nicht so bleiben“, sagt Gerd Köhler von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW – und dringt auf ihre formelle Anerkennung. So lautet auch der Studentenappell an den Gipfel der europäischen Bildungsminister in Berlin. „Bitte lasst die Bachelors nicht im Stich“, sagte gestern eine Erfurter Bachelorstudentin bei einer Bologna-Veranstaltung. „In zwei Jahren habe ich meinen Bachelor – was ist dann?“