ORTSTERMIN: AUF NORDDEUTSCHLANDS GRÖßTER PARTY „HAMBURG TANZT“ IM ALSTERTAL-EINKAUFSZENTRUM : Den Untergang proben
Wie stellen Sie sich den Weltuntergang vor? Als krachenden Feuerball aus dem Weltall oder eher als weißes Licht von Gott persönlich? Beides weit gefehlt. Die Menschheit wird in einer riesigen Party untergehen. Einen kleinen Vorgeschmack darauf bot die Veranstaltung „Deutschland Tanzt“ in Norddeutschlands größter Shoppingmall: dem Alstertal Einkaufs-Zentrum im Hamburger Vorstadtviertel Poppenbüttel. Über 20.000 Menschen feierten dort am Samstag bis zum Zusammenbruch.
Es ist etwa halb drei in der Nacht, als sich der junge Mann im rosa Poloshirt über den Handlauf der stillgelegten Rolltreppe lehnt und auf die Plastikpflanzen des Starbucks-Cafés kotzt. Das Erbrochene läuft an den Pflanzen herunter und verteilt sich langsam über das Granulat in den Blumenkästen.
Die Tickets fürs Fest, mit 20 Tanzflächen und über 40 DJs eine der größten Indoor-Partys, die in Deutschland je organisiert wurden, waren bereits seit Mittwoch letzter Woche ausverkauft. Nun drängt sich ein immenser Pulk Menschen um den Haupteingang. Zu beobachten ist all das wunderbar aus der Hypovereinsbank Lounge – dem so genannten VIP-Bereich. Ein großes Panoramafenster eröffnet den Blick hinunter auf die wartenden Massen. Innen: aufgedruckte Holzmaserungen, beige Plastiktische und braune Kunstledersofas – dazu Sushi und Sekt. Nur leise dringen die dumpfen Bässe aus dem Einkaufszentrum zu den Gästen in den VIP-Bereich. So scheinen viele überrascht, als ein Mann mit roten Kopf und Borstenschnitt in den VIP-Bereich kommt und außer Atem verkündet: „Draußen ist die Hölle los.“
Und tatsächlich: während es vor Einlass noch unvorstellbar war, dass sich die langen Gänge der Mall mit Besuchern füllen könnten, lässt die Menschenmasse das Gebäude nun aus allen Nähten platzen. Die Toiletten sind so überfüllt, dass sich viele gezwungen sehen, die Parkdecks zu konsultieren. Insgesamt 160 Türsteher sind im Einsatz. Alle mit schwarzen Anzügen und Knopf im Ohr – was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass sie überfordert sind. Um 23 Uhr kippt das Rauchverbot, kurz darauf die Stimmung. Testosteron liegt in der Luft. Überall kommt es zu kleineren Schlägereien. Tanzen können bei „Hamburg tanzt“ nur die Wenigsten. Dazu ist es zu voll.
Zwei junge Leute liegen in einer Blutlache am Boden. Eine Box ist aus einem oberen Stockwerke auf sie hinabgestürzt, vielleicht auch geworfen worden. „Die beiden hatten Glück im Unglück“, berichtet ein völlig überforderter Center-Manager. „Die Box ist auf die Balustrade gefallen, hat diese zerschmettert und traf erst dann die Jugendlichen.“
Unbeirrt von alledem erklärt ein Sprecher des Veranstalters in der VIP-Lounge: „Unser Konzept ist zukunftsweisend. Wir ziehen mit unseren Partys Leute in Einkaufszentren. Das wirkt sich schlussendlich auch positiv auf die Innenkonjunktur aus.“ Aber langsam dringt das „Draußen“ auch in die Lounge. „Plötzlich ist jeder Geschäftsführer“, gibt der Sprecher zu. Immer mehr Menschen stoßen in den Raum. Die Sushi-Platten werden geplündert, Sekt ergießt sich über die Kunstledersitze und ein junger Mann schmiert etwas Braunes gegen das Panorama-Fenster.
240 Geschäfte haben Platz im Einkaufszentrum. Die meisten Mitarbeiter stehen auf der Gästeliste. Viele sind gekommen. Ein Mann fällt besonders auf. Er steht vor seinem Laden und ruft: „Alles, alles scheint zu drehen: Fels und Bäume, die Gesichter Schneiden, und die irren Lichter“. Es wirkt fast so, als würde er mit diesem Faust-Zitat nichts anderes als den Weltuntergang verkünden wollen. JOHANN TISCHEWSKI