piwik no script img

Archiv-Artikel

Mini, die Lückenfüllerin

Indien in Berlin: Seit 13 Jahren lebt und arbeitet die indische Grafik- und Mode-Designerin Mini Kapur in Berlin. Ihre Entwürfe gefielen zunächst den Autobauern, heute Liebhabern von Seidenschals

von MONA MOTIRAMANI

Mini Kapur ist nicht so, wie ihr Name vermuten lässt. Die Mode-Designerin ist hochgewachsen und empfängt ihren Besuch in Leggings und T-Shirt. An den Wänden ihrer Wohnung hängen kunstvoll gestaltete Bilder des Hindu-Gottes Krishna.

Nach Berlin kam die Tochter aus gutem Hause in Neu-Dehli nicht, weil es ihr die Stadt angetan hatte und gerade die Mauer gefallen war. Mini Kapur folgte vor 13 Jahren ihrem Mann, der hier seit den 80ern studiert hatte und später als Forscher bei Daimler-Benz arbeitete. Weg aus Indien wollte sie eigentlich nicht. Aber dann – warum nicht? Warum nicht einmal Europa?

Der Berliner Himmel schien ihr grau. Die Kleidung der Menschen auch. Und immer fehlte die Sonne. Auf der Jobsuche erntete die Endzwanzigerin damals nur Unglauben, „keiner wollte mir glauben, dass ich schon so viele Erfahrungen als Grafikdesignerin gesammelt hatte“. Stolz erzählt sie, wie sie gleich nach dem Studium des Grafikdesign eine steile Karriere begann. Wie gleich ein Arbeitsvertrag einer neuen indischen Frauenzeitschrift bei ihr auf dem Tisch lag. Damals war sie erst 21. Was folgte, waren interessante Menschen, Künstler, Fotografen, Illustratoren, mit denen sie gemeinsam arbeitete, und mit 28 der Top-Posten als Art Director.

Das passte nicht in die Muster Berliner Lebenswege. Schließlich landete Mini Kapur, dank ihrer Hartnäckigkeit, als Praktikantin bei einer Werbeagentur. Schnell fühlte sich die joberfahrene Frau unterfordert. „Dass ich mich in meiner Arbeit stets so schnell begrenzt fühle“, sagte sie, „ist für mich ein Grund, immer wieder nach neuen Herausforderungen zu suchen. Ich möchte wachsen.“ Nachdem die zielstrebige Frau sich selbstständig gemacht hatte, erhielt sie nach und nach Aufträge, darunter den, einen Katalog für die TU Berlin zu gestalten. Der fiel einem leitenden Mitarbeiter bei Mercedes in die Hände – und bescherte Mini Kapur gleich einen weiteren Auftrag. Ihr Katalog mit dem Logo für „Responsive Systems“ kam gut an. Kapur hatte die Dynamik zwischen Systemen, die für einander einspringen, wenn eines ausfällt, grafisch prägnant erfasst. Die Stuttgarter Autobauer blieben Mini Kapurs treue Kunden, denn wie die Konstrukteure legt auch sie großen Wert auf den Ausdruck von Bewegung. Bewegung bedeutet für sie Wachstum. Und als Wachstum empfindet sie auch ihre Erfahrungen in Deutschland.

Längst begreift sich Mini Kapur als Grenzgängerin, die die zwischen den Welten sinnlos errichteten Grenzen auflösen möchte. Ihre indische Arbeitsphilosophie der Feinheit, Raffinesse und Offenheit gegenüber anderen Menschen und die deutsche der Struktur und Präzision versucht sie in ihre Projekte einzubauen. Dabei möchte sie verschiedene Sichtweisen und Aspekte miteinander kombinieren.

Um diese Übersetzungsarbeit leisten zu können, scheinbar Trennendes zu überwinden, hat sie inzwischen auch ein Büro für den Service von Geschäftsentwicklungen in Indien und Deutschland eingerichtet.

Einer ihrer jüngsten Grafik-Aufträge war, ein Logo nebst Faltblättern für die vor zwei Jahren eröffnete bilinguale Staatliche Internationale Schule in Berlin, SISB, zu entwerfen. Mini liebt die Atmosphäre an dieser Schule: „Hier fühlst du dich nicht als Ausländer. Hier sind alle Nationalitäten, alle Farben vertreten. Hier fühlst du dich zu Hause.“ Auch ihr siebenjähriger Sohn geht hier zur Schule. Abinav hat sie ihn getauft, was so viel bedeutet wie „jeder Moment neu“.

Und jeder Moment neu ist Mini Kapurs Lebensprogramm. Vor einiger Zeit begann sie, ihre grafischen Erfahrungen auf Stoffe, Kleidung und Mode zu übertragen. Sie entwirft Seidenschals, die sie in Kooperation mit einer Freundin in Indien in Handarbeit nähen lässt. Nach all den Aufträgen, in denen ihre Assoziationskraft für Technik und Rationalität gefordert war, hat Mini Kapur hier ihre Leidenschaft entdeckt. „Hier“, so sagt sie, „fühle ich mich als Frau.“

Eine Karrierefrau, die kulturelle Klüfte und das Fremde überwindet, namens Mini? Zögerlich erzählt die 42-Jährige, dass ihre Mutter sich kurz vor ihrer Geburt im Kino die Verfilmung der Erzählung „Der Mann aus Kabul“ des indischen Dichters Tagore anschaute. Darin verlässt ein Mann seine Familie in Kabul und geht nach Kalkutta. Dort begegnet ihm das kleine Mädchen Mini, das er von da an immer wieder trifft. Es erinnert ihn an seine eigene kleine Tochter, die er zurückließ und nun vermisst. Mini füllt die Lücke in seinem Herzen.

Der echten Mini gefällt die Geschichte. Mit Farbe und Kunst füllt sie heute die Lücke zwischen den Kulturen.