: Vom Liebling zum verhassten Millionär
Weil sich Richard Grasso seinen Chefposten an der New Yorker Börse vergolden ließ, muss er nun gehen
An der New Yorker Börse (NYSE) wird viel Geld umgesetzt. Aber dass der Chef der Börse einen gut Teil dieses Geldes in die eigene Tasche fließen ließ, sorgte selbst in den USA für Empörung, wo sich die Gehälter der Firmenchefs regelmäßig in Millionen bemessen. Unter dem Druck des Börsenverwaltungsrats trat nun Richard Grasso zurück.
Der Mann mit dem markanten, kahl rasierten Schädel und der spitzen Stimme wird allgemein bloß „Dick“ gerufen. Er war „mehr als seine Vorgänger gewissermaßen ein Symbol der Börse“, so beschreibt ihn das Verwaltungsratsmitglied Leon Panetta. Ein Held fast, als er souverän die schnelle Wiedereröffnung der Börse nach der Zerstörung des benachbarten World Trade Centers organisierte. Aber auch ein Symbol für die fetten Jahre des Börsenbooms, deren Ende er offenbar nicht mitbekommen hatte.
Grasso kommt aus einfachen Verhältnissen. Er war der erste NYSE-Chef, der sich vom kleinen Büroangestellten durch alle Ränge hochgearbeitet hat. In einem Umfeld, wo die meisten seiner Kollegen Absolventen von amerikanischen Eliteuniversitäten sind, ist ausgerechnet der Chef selbst ein Studienabbrecher.
Polizist hätte der im New Yorker Arbeiterbezirk Queens aufgewachsene Junge eigentlich werden sollen, so wünschte es sich seine Mutter. Doch er scheiterte am Sehtest. Mit 21 trat er in den Bürodienst der ehrwürdigen Börse mit den korinthischen Säulen ein, 27 Jahre später hatte er es zum Vorsitzenden des Verwaltungsrats geschafft.
In den Ruf eines Raffzahns geriet der 57-Jährige schon vor einem halben Jahr, als durchsickerte, er habe 2002 mindestens 10 Millionen Dollar verdient – zur selben Zeit, als die meisten Anleger an der Wall Street massiv Geld verloren.
Dann wurde bekannt, dass er sich eben mal 139,5 Millionen Dollar an angesammelten Sonderzulagen auszahlen ließ, dazu ein Jahresgehalt von 1,4 Millionen Dollar plus einer Million Dollar garantierter Mindestprämien. Als dies die Öffentlichkeit empörte, verzichtete er wohlweislich auf weitere 48 Millionen Dollar, die ihm eigentlich auch noch zugestanden hätten.
Er könne ja nichts für die Entscheidungen des Verwaltungsrats, der die Bezüge der Topmanager festlegt, so Grassos wenig überzeugende Entschuldigung. Mitglieder des Verwaltungsrats hatten ihrerseits eingeräumt, dass sie eigentlich den von ihnen abgezeichneten Arbeitsvertrag des Vorsitzenden gar nicht so recht verstanden hätten.
Das Problem der Börse ist also weniger ein geldgieriger Chef als vielmehr das Kontrollgremium selbst. Die NYSE ist ein Non-Profit-Unternehmen, das sich selbst reguliert. Die Regulierer aber sind zugleich diejenigen, die reguliert werden müssen – die Chefs der Wall-Street-Firmen nämlich, die den Handel an der Börse bestreiten. Dass diese ein starkes Interesse daran haben, sich den Topmanager der NYSE durch großzügige Zahlungen wohlgesinnt zu machen, liegt auf der Hand.
Wirtschaftsprofessor Howard Wachtel von der American University in Washington glaubt, dass Grassos einfacher Hintergrund den Ausschlag gab, warum ihn seine Kumpels jetzt fallen ließen. „Er war nie Teil des Clubs. Wenn er ein Mitglied einer alten Bankerfamilie wie der Morgans gewesen wäre, hätte er mehr Unterstützung erhalten.“
NICOLA LIEBERT
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