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Archiv-Artikel

Flugunglücke geben weiter Rätsel auf

Zwei Tage nach dem Absturz zweier russischer Passagiermaschinen ist die Unfallursache weiter unklar. Auswertung der Flugschreiber bringt kein Ergebnis. In den Staatsmedien wird jeder Hinweis auf einen möglichen Terroranschlag vermieden

AUS MOSKAUKLAUS-HELGE DONATH

Zwei Tage nach der rätselhaften Flugzeugkatastrophe in Russland herrscht immer noch keine Klarheit über die Ursachen der Tragödie. Am Dienstag waren zwei Passagiermaschinen gleichzeitig von den Radarschirmen verschwunden und mit 89 Passagieren an Bord abgestürzt. Nach Angaben der kremlnahen Nachrichtenagentur RIA Nowosti wird die Aufklärung noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Die Flugschreiber seien gefunden, die Bänder aber beschädigt. Das mag durchaus zutreffen, könnte aber auch ein Indiz dafür sein, dass dem Kreml an einer raschen Aufklärung nicht gelegen ist. Auf jeden Fall passt es zur Berichterstattung der gleichgeschalteten elektronischen Medien, die die Tragödie am Tag danach wie ein gewöhnliches Flugzeugunglück abwickelten. Sie veranstalteten einen wahren Eiertanz, um ja nicht auszusprechen, was alle dahinter vermuteten: Terror.

Das war auch die Linie des Geheimdienstes FSB, der keine Hinweise auf einen Terroranschlag ausmachen konnte und „in verschiedene Richtungen“ ermittelt. Unterschlagen wurde auch der Hinweis der Fluggesellschaft Sibir, die ein Hijack-Signal erhalten hatte. Viel Sendezeit erhielten dagegen die Mitarbeiter des Katastrophenministeriumsan den Unglücksstellen.

Nach einem Bericht der Iswestija war den Journalisten nahe gelegt worden, die Möglichkeit eines Anschlages nicht zu erwähnen und das Wort Terror nicht in den Mund zu nehmen. Das ist ungewöhnlich in einem Land, das seit Jahren von Anschlägen heimgesucht wird. Ungewöhnlich auch für den Kreml, der sonst hinter jedem Anschlag ungeprüft sofort eine „tschetschenische Spur“ entdeckt.

So unterschlugen die staatstragenden Medien auch einen Anschlag an einer Bushaltestelle kurz zuvor, die sich an der Zufahrtsstraße zum Flughafen Domodedowo befindet, von dem die Unglücksmaschinen weniger später starteten. Im Sender NTW, der etwas mehr Freiheit genießt, wurde Terror als eine Möglichkeit zumindest erwähnt. Am Abend folgte dann ein unmissverständlicher Hinweis: zwei Flugzeuge zur gleichen Zeit. Das sei das letzte Mal am 9. 11 2001 in New York passiert.

Die meisten Russen konnten sich aber auch ohne klare Informationen einen Reim machen. In einer Umfrage der noch unabhängigen Radiostation Echo Moskwy waren von 2.600 Anrufern 97 Prozent überzeugt, die wahren Hintergründe würden nie ans Licht kommen. Die Russen haben ein sehr feines Gespür für das Verhalten der politischen Führung. Sie wissen, wann sie ihr nicht glauben dürfen. Sie neigen aber auch dazu, schnell zu vergessen. Das wiederum weiß die Macht und verhält sich dementsprechend rücksichts- und verantwortungslos.

Da die Russen auch eine Nation von hochbegabten Mathematikern sind, bat der Russkij Kurier den Wahrscheinlichkeitstheoretiker Grinberg von der Akademie der Wissenschaften um eine verlässliche Rechnung: ein vergleichbarer Unfall ohne äußere Gewaltanwendung ereignet sich demnach mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 852 Millionen. Beim derzeitigen Luftfahrtaufkommen wäre mit einem ähnlichen Ereignis frühestens in 5.000 Jahren zu rechnen. Einschläge eines Asteroiden auf der Erde gebe es da schon häufiger.