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Archiv-Artikel

Richter Huttons geheime C-Waffe

Bei der Untersuchung zum Selbstmord des britischen Waffenexperten David Kelly kommt die spitzeste Kritik an der britischen Regierung ausgerechnet aus dem Geheimdienst. Die BBC und ihr Reporter Gilligan hingegen sehen täglich blasser aus

aus Dublin RALF SOTSCHECK

„Im Mittelalter haben die Menschen an Hexen geglaubt“, sagte der frühere UN-Waffeninspekteur Hans Blix gestern. „Sie haben nach ihnen gesucht und sie dann auch gefunden.“ So ähnlich sei es mit den irakischen Massenvernichtungswaffen.

Blix bezog sich in seinem Interview mit der Nachrichtensendung „Today“ im Radio 4 der BBC auf die Erkenntnisse, die in der Untersuchung von Lordrichter Brian Hutton zum Tod des britischen Wissenschaftlers David Kelly bisher ans Licht gekommen sind. Mit einer „Today“-Sendung im Mai hatte alles angefangen. Damals hatte der BBC-Reporter Andrew Gilligan behauptet, Premierminister Tony Blairs Chefsprecher Alastair Campbell habe das Irak-Dossier vom September vergangenen Jahres aufgebauscht und die vom Irak ausgehende Gefahr übertrieben, damit Blair die Kriegstrommel besser rühren konnte. Gilligan bezog sich dabei auf eine ungenannte Geheimdienstquelle. Kelly, Waffenexperte im Dienst des Verteidigungsministeriums, wurde im Juli von der Regierung als BBC-Informant bloßgestellt und brachte sich deshalb um.

Anfang dieser Woche begann die zweite Phase der Hutton-Untersuchung. Bisher hatte der Richter lediglich die Aussagen der Beteiligten – darunter Blair, Campbell, Gilligan, die BBC-Chefs und Kellys Familie – aufgenommen. Seit Montag müssen die Zeugen ins Kreuzverhör. Dadurch hat sich die Atmosphäre im Gerichtssaal plötzlich verändert. Waren die Staatsanwälte mit den Zeugen bisher höflich, fast zurückhaltend umgegangen, so schlagen sie nun härtere Töne an. Als Erster bekam das am Dienstag Martin Howard zu spüren, Vizegeheimdienstchef im Außenministerium. „Ihre Strategie, Kelly bloßzustellen, war zynisch und verantwortungslos“, musste sich Howard anhören. „Was sagen Sie dazu?“ Howard antwortete lahm: „Das Verteidigungsministerium hat Kellys Namen nicht veröffentlicht. Es reagierte lediglich auf die Anfrage eines Journalisten, der den korrekten Namen genannt hatte.“

Gilligan hatte sich bis zu Kellys Tod geweigert, seine Quelle preiszugeben, und die BBC bestärkte ihn in seiner Haltung. Doch inzwischen hat sich der Sender von seinem Reporter abgewandt. BBC-Nachrichtenchef Richard Sambrook sagte am Mittwoch, Gilligans Recherchen seien gut gewesen, aber die Art, wie er sein Material präsentierte, war es nicht. Er habe in seinen Radioberichten stets „grelle Farben bevorzugt, wenn Grauschattierungen angebracht“ gewesen wären, sagte Sambrook.

Gilligan, der gestern und vorgestern erneut verhört wurde, räumte ein, dass sein Bericht vom Mai nicht korrekt gewesen sei. Er habe Kelly fälschlicherweise als Geheimdienstquelle bezeichnet. Und statt zu sagen, die Regierung habe wissentlich falsche Behauptungen in ihrem Dossier aufgestellt, hätte er von „fragwürdigen Informationen“ sprechen müssen, wie er es in späteren Sendungen tat.

Der britische Spionagechef Richard Dearlove hatte seinerseits am Dienstag kritisiert, es sei ein „schwerer Verstoß gegen die Richtlinien“ gewesen, dass Kelly ohne Erlaubnis geheimdienstliche Angelegenheiten mit Gilligan diskutierte. Dearlove, dessen Deckname „C“ ist, musste allerdings nicht persönlich vor der Untersuchung erscheinen, weil die Öffentlichkeit nicht wissen darf, wie er aussieht. Statt dessen sagte er an einem „geheimen Ort“ über eine Funkverbindung aus, wie es sich für einen Spion gehört. Dearlove, der den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 leitet, sagte, die Behauptung der Regierung, dass Saddam seine Massenvernichtungswaffen binnen 45 Minuten aktivieren könne, sei „für Falschinterpretationen anfällig“ gewesen.

Man habe in dem Dossier nicht deutlich gemacht, dass es sich dabei nicht um Langstreckenwaffen handelte, die die westliche Welt bedrohten, sondern lediglich um Geschosse, die „auf dem Schlachtfeld eingesetzt“ werden können. Insofern sei die Kritik an dem Dossier durchaus gerechtfertigt. Außerdem habe er „laustarken Einspruch“ gegen die Versuche der Regierung erhoben, das irakische Atomprogramm aufzubauschen. Mehr habe er nicht zu sagen, meinte „C“ und verließ sein Versteck, um eine Tasse Tee mit zwei Stück Zucker zu sich zu nehmen – gerührt, nicht geschüttelt, wie der Guardian anmerkte.