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Archiv-Artikel

Die junge Tante SPD

VON ULRIKE WINKELMANN

Mit den Sozialdemokraten ist das so: „Wenn man sie von außen anschaut, sehen sie so was von verknöchert aus. Aber wenn man dann erfährt, was sie können und was sie schon alles gemacht haben, löst sich das auf.“ Sagt eine Sozialdemokratin. Kristin Alheit, 36, ist vor wenigen Wochen Kreisvorsitzende der SPD in Hamburg-Altona geworden, dem Hamburger Bezirk, in dem immerhin 240.000 Menschen leben, von denen 1.700 SPD-Mitglieder sind.

Die gut gelaunte Rednerin

Alheit – graues Leinensackgewand, blonder Pony, gute Laune unterm Café-Sonnenschirm – ist Juristin und Finanzfachfrau. Den Chefposten der SPD-Altona bekam sie im Juni, ohne Gegenkandidaten und mit großem Applaus für eine witzige, optimistische Rede. Sie ist unabhängig, sagt sie, auch von der Politik selbst: „Ich kann auch ohne.“

Noch aber hat sie sich im parteiinternen Gerangel gegen niemand durchsetzen müssen. Für so etwas braucht man Verbündete. Spätestens dann griffe der Sucht-, Macht- und Klüngelfaktor, der Politikerinnen wie Politiker so verändert. So verändert, bis sie entweder verknöchern – oder vergessen, dass Politik mehr ist als Netzwerke knüpfen und das Amt kosten kann. Bei der SPD in Hamburg hatten das alle vergessen. Die Hamburger Sozis waren regierungsgewöhnt, medienverwöhnt, und dann wurden sie 2001 einfach weggefegt.

Die Wiederwahl des populären Bürgermeisters von der CDU, Ole von Beust, im Februar war der Auftakt der diesjährigen Serie von Tiefschlägen für die SPD, die sich bei den Wahlen im Saarland, in Brandenburg, Sachsen und Nordrhein-Westfalen fortsetzen wird. Die Sozialdemokratie wird landauf, landab nicht mehr gemocht. Es reicht nicht zu behaupten, dass die anderen aber noch tiefere soziale Einschnitte machen würden. Das sieht man in Hamburg.

Vielleicht aber sieht man an den jüngeren, nicht mehr ganz jungen Sozialdemokraten wie Kristin Alheit auch schon, mit welchen Leuten die SPD es wieder schaffen könnte, gemocht zu werden. Alheit zum Beispiel gehört zu den wenigen Hanse-Sozis, die die Schuld am Untergang der SPD nicht bloß der Springer-Presse geben oder vom Unverständnis der Bevölkerung reden, wie gut die SPD doch eigentlich ihre Arbeit mache. „Wir haben den Kontakt zu den Menschen verloren. Sie trauen uns nicht mehr. Das Patentrezept, wie wir das wiederherstellen, habe ich auch nicht. Durch die Sportvereine zu tingeln reicht jedenfalls nicht.“

Alheit weiß, dass sie sich mit dieser Vermutung selbst empfiehlt. Sie ist die Kontaktfähigkeit in Person. Sie kommuniziert weder bloß mit dem Parteiapparat noch – wie es Parteinachwuchskräften meist vorgeworfen wird – bloß mit den Medien. Sie redet einfach mit denen, die vor ihr sitzen, über die Sache, die auf dem Tisch liegt. Kann schon sein, dass die Wahlkreisreform der SPD-Altona schadet. Aber wenn sie doch praktisch ist?

Die Fähigkeit, mit vielen unterschiedlichen Leuten zu reden, ist etwas anderes, als von sich zu reden. Als der Kanzler in Hamburg war, um Hartz IV den Seinen schmackhaft zu machen, sagt sie, „hat der bloß Ich-Botschaften gesendet. Ich will, ich tue, ich werde. So konnte das doch nie funktionieren.“ Kein Wunder, dass auch in der Hamburger SPD längst nicht alle von der Bundespolitik überzeugt sind – obwohl „gegen die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ja überhaupt nichts einzuwenden ist“, sagt Alheit.

Der gründliche Rechner

Oh doch. Es gibt nichts, wogegen Florian Pronold nichts einzuwenden hätte. Er besteht darauf, alles selbst nachzurechnen, bevor er irgendwem etwas glaubt. Allerdings hat er das meiste schon nachgerechnet. Hat da jemand behauptet, die kleinen Leute hätten unter Rot-Grün nur geblutet? „Ein Single mit einem Bruttoeinkommen von 2.000 Euro im Monat hatte im vergangenen Jahr 1.200 Euro mehr zur Verfügung als im letzten Jahr der Kohl-Regierung.“

Pronold ist Jurist, 31, trägt altmodische Jacketts mit aufgekrempelten Ärmeln, verfügt über einen freundlich-bebrillten Besserwisserblick sowie über einen Haufen Lebensregeln aus Donald-Duck-Comics. Etwa die vom „Helferlein“ Daniel Düsentriebs: „Man muss mit den Wölfen heulen – nur lauter“. Noch lieber freilich zitiert er Karl Marx. Pronold sitzt seit 2002 für die SPD im Bundestag.

Da wo Bayern am schwärzesten ist, hat er eine Juso-Gruppe aufgezogen. Wurde mit Strafanzeigen überzogen, als er 1995 in der Juso-Zeitschrift das Kruzifix-Urteil mit dem Wort „Lattengustl“ im Titel kommentierte. Im Stadtrat von Deggendorf quälte er die CSU-Honoratioren. Und als Abgeordneter hat er sich vorgenommen, sämtliche Grundannahmen der aktuellen SPD-Politik zu zerballern. Kaum war die Agenda 2010 raus, initiierte Pronold ein SPD-Mitgliederbegehren dagegen – das allerdings bald scheiterte. Aber die Fragen sind geblieben: Wer hat eigentlich bewiesen, dass die Senkung der Lohnnebenkosten Arbeitsplätze schafft? Wo steht, dass Generationengerechtigkeit bedeutet, die sozialen Sicherungssysteme einzudampfen?

Es ist ja nicht so, dass Pronold der einzige SPD-Mensch im Bundestag wäre, der den Kurs des Kanzlers für eine Katastrophe hält. Aber jeder Abgeordnete hat eben sein Fachgebiet, das er verteidigt – zur Not auch gegen Pläne aus dem Kanzleramt. Und es ist, als trüge von den Spielkarten eines Abgeordneten nur ein Bruchteil die Aufschrift „Protest gegen die eigene Führung“ – und diese Karten hebt sich natürlich jeder für sein Lieblingsthema auf. Nur wenige haushalten mit dem ihnen zugestandenen Maß an Abweichlertum so unvorsichtig wie Pronold. Er ist einfach kein Zyniker.

Das dürfte daran liegen, dass ein Sozi in Niederbayern immer schon weiß, wo der übermächtige Feind steht. Die politische Postmoderne – die Abwesenheit von Interessengegensätzen – ist in Deggendorf nie angekommen. „Wer aus den großen SPD-Nestern wie Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen kommt, mag sich darüber lustig machen.“ Gegenwärtig aber machen altkluge Provinzler einen besseren Eindruck als manche der Jungspunde um die 30, die noch vor wenigen Jahren als „Nachwuchstalent“ gehandelt wurden und nun blass im Schatten des Kanzleramts auf bessere Zeiten warten.

Der talentierte Netzwerker

Kreisvorsitzende wird man bei der SPD vielleicht noch, ohne jemand den Posten wegzunehmen – Abgeordneter und Vizelandeschef aber gewiss nicht. Es muss immer einen geben, der den Weg freiräumt. Bei Pronold war das Ludwig Stiegler, bayerischer Polterer im Bundestag und Bayern-Chef der SPD im roten Pullunder, der sagte, „der Florian ist in Ordnung, der braucht einen Listenplatz“. Auch für Heiko Maas musste erst ein verdienter Genosse abgehalftert werden. Das besorgte in seinem Fall Oskar Lafontaine. 1994 zog Maas in den saarländischen Landtag ein, zwei Jahre später machte ihn Lafontaine, damals Regierungschef im Saarland, zum Umwelt-Staatssekretär, wieder zwei Jahre später zum Umweltminister. Seit 2000 ist Maas Fraktions- und Landeschef der SPD-Saar – und kann immer noch keinen Schritt machen, ohne dass Lafontaine ihm dazwischenfunkt.

Jetzt ist Maas 37 und wird in anderthalb Wochen die Landtagswahl im Saarland verlieren. Er gehört zu den wenigen Männern, die kurzärmlige Hemden ohne Würdeverlust tragen können. Müde ist er, schon lange müde vom Wahlkampf – Fass anstechen hier, Schülercafé eröffnen dort. Aber noch viel länger ist er ein Politprofi. Deshalb hat er auf jede Frage eine Antwort parat, und ebenso traumwandlerisch vermeidet er Antworten, die ihm als verkürztes Zitat in der Zeitung bloß überflüssigen Ärger machen könnten. Drum lässt er sich gar nicht erst auf Diskussionen darüber ein, ob man mit dem Thema Bildung wirklich das Herz des Wahlvolks oder nicht zufällig bloß die Zustimmung von ein paar Studienräten gewinnt. Er wird doch nicht sein wichtigstes Pfund zerquatschen. „Bildung ist das Thema“, sagt er – „wenn auch nicht das einzige.“ Die Rhetorik der unverbindlichen Entschlossenheit beherrscht Maas perfekt.

Aber er bringt auch die nötige Distanz dazu mit. Wie soll das gehen – für eine Sozialdemokratie stehen, deren Ruf gerade in Berlin ruiniert wird? Ehrgeizig sein und sich nicht korrumpieren lassen? Profi sein und nicht zur Politikmaschine versteifen? „Echte Macher, die Medien wollen immer echte Macher sehen“, sagt Maas. Solche Macher wie Schröder und Fischer, die aber gleichzeitig die Regierungsfähigkeit und damit das Handwerk versauen, weil im Kabinett keiner mehr dem anderen über den Weg traut und jeder gegen jeden arbeitet. „Dem Kabinett fehlt Teamfähigkeit.“

Die wie Maas im und rings um das „Netzwerk“ zusammengeschlossenen Abgeordneten und Landespolitiker dagegen ersparen einander öffentliche Attacken. Auch Maas nützt der Rückhalt dieses losen Clubs, obwohl er dessen teils sehr schröderische – andere sagen: neoliberale – Ideen nicht teilt.

Wenn der erfahrene, aber noch nicht zerschlissene SPD-Nachwuchs seine freien Kräfte dazu nutzen würde, an einer neuen Identität der Sozialdemokratie zu arbeiten, das wär’s. Maas war einer derjenigen, die schon in der ersten Schröder-Legislatur gesagt haben, dass die SPD die fetten Jahre nutzen solle, um Sozialdemokratie für härtere Tage zu definieren. „Irgendwann stellt sich die Frage: Was ist eure Grundsatzbotschaft? Wie wollt ihr die Gesellschaft künftig organisieren?“, mahnte er im September 2000 im Spiegel. Nein, Antworten hat er bis heute nicht im Ärmel. Aber wenn, dann „ist auch die Opposition eine gute Gelegenheit“, welche zu finden, sagt er. Aber wenn die SPD im Bund verliert, kommt dann nicht wieder ein mindestens 16-jähriges Jammertal? „Die Zeiten sind andere, die Menschen wählen nicht mehr immer das Gleiche. Es werden keine 16 Jahre mehr sein.“

Und wenn die SPD dann wiederkommt, ist Maas in Stellung. Wahrscheinlich ist Pronold noch dabei und nervt alle mit Marx-Zitaten. Und vielleicht konnte Alheit unabhängig von den Anforderungen des Parteiapparats Profi werden. Vermutlich sind sie dann die Schröders, Lafontaines und all die anderen Leitwölfe endlich los.