: Vom Leitbild zum Ladenhüter
Als der Rat für nachhaltige Entwicklung vor zweieinhalb Jahren auf Initiative des Bundeskanzlers seine Arbeit aufnahm, war das Thema en vogue. Jetzt kämpft er wacker mit Broschüren und Strategien gegen das öffentliche Desinteresse
von MARIUS ZIPPE
Nein, der Eindruck täuscht nicht, sagt Günther Bachmann, Geschäftsführer des Nachhaltigkeitsrates der Bundesregierung. Um das Thema „Nachhaltigkeit“ ist es in diesem Jahr ruhig geworden. „Das Wort stand zwar zigmal im rot-grünen Koalitionsvertrag“, stellt er fest. „Aber jetzt?“ – Keine Antwort.
Zurzeit profilieren sich Lobbyisten, Politiker und allerlei Experten lieber mit Rettungsvorschlägen für die Sozialsysteme als mit Nachhaltigkeitsthemen. Dabei ist es nicht lange her, dass Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit – weil schick – selbst aus ungewohnten Ecken kamen: Der Bundesverband der Deutschen Industrie, die großen Banken oder der Bauernverband standen da in neuer Koalition mit der rot-grünen Bundesregierung. Diese erklärte die „Nachhaltigkeit“ gar zum Leitbild ihrer Politik.
Deshalb berief Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im April 2001 – zunächst für drei Jahre – den Rat für Nachhaltigkeit ein, der seitdem wacker für die gute Sache kämpft. Die 18-köpfige Denkfabrik verfügt über einen Jahresetat von einer Million Euro. Zu den Mitgliedern gehören etwa der frühere CDU-Bundesumweltminister Klaus Töpfer, die Landesbischöfin von Hannover, Margot Käßmann, das BASF-Vorstandsmitglied Eggert Voscherau und die Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, Edda Müller, an. Sie treffen sich fünfmal im Jahr.
In den Sitzungen einigen sich die „Räte“ auf Empfehlungen an die Regierung für Ökoprojekte oder bereiten Veranstaltungen zur Nachhaltigkeit vor. Dazu gehört die öffentliche Jahreskonferenz am 1. Oktober in Berlin unter dem Titel „Deutschland nachhaltig verändern“. Journalisten werden Diskussionsrunden moderieren unter anderem zur Energiepolitik, zur Werbung für nachhaltiges Leben oder zum Handel mit Entwicklungländern. Mit einer Rede zur Nachhaltigkeitspolitik nutzt auch der Kanzler die Konferenz als Forum.
Als bislang wichtigste Leistung sieht der Rat seine Mitarbeit an der 2002 vom Bundeskabinett beschlossenen nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Dazu hatten sich die Staaten auf dem UN-Weltgipfel in Rio 1992 verpflichtet. Zu den deutschen Zielen gehören unter anderem die Eindämmung des Flächenverbrauchs und die Ausweitung des Ökolandbaus. Der Nachhaltigkeitsrat gibt auch Alltagstipps. Im vergangenen Jahr stellten seine Mitglieder einen „nachhaltigen Warenkorb“ mit 750 umweltverträglichen Dienstleistungen und Waren vor (siehe Seite V). Als jüngsten politischen Erfolg rechnet sich der Rat an, dass auch die grüne Verbraucherministerin Renate Künast der Regierungsdelegation bei der WTO-Konferenz in Cancún angehörte.
Bei den Naturschutzverbänden ist der Rat anerkannt. Evelyn Faust, Referentin des Naturschutzbundes (Nabu), beurteilt ihn als „ruhig, besonnen und sehr ernst in der Sache“. Zwar könne der Rat alleine nur wenig bewegen, sagt Faust. Als „Baustein“ in der Nachhaltigkeitspolitik leiste er aber einen wichtigen Beitrag.
Damit die Vorschläge nicht in Schubladen vermodern, ist der Rat über das Green Cabinet an die Regierung angebunden. Der ebenfalls 2001 eingerichtete Ausschuss von Staatssekretären aller Ressorts wird von Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier geleitet und tagt etwa alle drei Monate. Im Gegensatz zum Nachhaltigkeitsrat verfügen die Staatssekretäre in den Ministerien über das nötige Geld, um aus den Vorschlägen „harte“ Politik zu machen. In dieser Legislaturperiode geht es im Green Cabinet – in Zusammenarbeit mit dem Nachhaltigkeitsrat – um die Förderung alternativer Energien und schadstoffarmer Motoren.
Dazu gehört das „Clean Energy Project“. Mit fünf Millionen Euro Staatsgeldern entsteht in Berlin eine Wasserstofftankstelle. Der Zukunftsbrennstoff gibt zuvor investierte Energie ab, wenn er mit Sauerstoff verbunden wird. Als „Abfallprodukt“ verbleibt nur Wasser. Die Eröffnung der Tankstelle ist für 2004 angekündigt. Daimler und BMW haben zugesagt, mit wasserstoffbetriebenen Testwagen zu tanken.
Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit des Green Cabinets soll die Berufsbildung von Menschen über fünfzig sein. Auf sie wird die alternde Gesellschaft stärker angewiesen sein. Ein Grund, dass die Nachhaltigkeit in die Politk zurückkehren dürfte.