DIE INDUSTRIE IST NICHT SO EINHEITLICH, WIE IHRE LOBBYISTEN VORGAUKELN : Nach dem Energiegipfel ist vor dem Kampf
Ach wie schön es ist, wenn man ein Feindbild hat wie Jürgen Trittin. Solche Reizfiguren eignen sich prächtig, um die eigenen Reihen zu schließen und von den eigenen Fehlern abzulenken. Denn mit dem Emissionshandel steht nun für die Wirtschaft einiges auf dem Spiel.
So kam es nicht von ungefähr, dass im Vorfeld des Energiegipfels gegen Umweltminister Trittin und „seine Windkraft“ geschossen wurde. Dabei ist der höhere Strompreis durch die Windkraft völlig sekundär: Alle Härten für energieintensive Firmen sind längst ausgeräumt. Ein geschwächter Trittin, so das Kalkül, kann beim Emissionshandel nicht so viel Ärger machen. Dieser soll nach den Wünschen Trittins auf jede einzelne Firma durchgreifen. Damit wären die Zeiten freiwilliger Selbstverpflichtungen der Branchen vorbei, in deren Schatten Dreckschleudern einfach weiterrauchen konnten.
Zum Mechanismus eines Feindbildes gehört es, dass seine Anhänger irgendwann selber ans Böse glauben. Da verwundert nicht, dass sich die Mienen der Vorstandschefs vorgestern aufhellten, nachdem sie dem Beelzebub im Kanzleramt persönlich begegnet waren – und feststellten, dass auch Trittin nur ein Minister ist. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ernst wird: Im kommenden halben Jahr wird entschieden, wie die Emissionsrechte unter der Wirtschaft aufgeteilt werden: Da kämpft jeder gegen jeden. Auch der Versuch der Lobbyisten, die Lasten der Wirtschaft als Ganzes zu senken, verfängt nicht: Dann müsste der Verkehrssektor mehr fürs Klima tun. Die Folge wären eine höhere Lkw-Maut und schärfere Abgasrichtlinien. Und das will auch keiner.
Das wird einen ungewohnten Anblick geben: Die, die sich unter dem Mantel des BDI gern so geschlossen präsentieren, werden sich nun hauen und stechen. Ein Vorgeschmack bot der Angriff auf die Windkraft. Denn von Windkraft leben inzwischen auch so alteingesessene Industriezweige wie die Stahlbranche. Das Paradoxe: Um ihre Zerstrittenheit zu überspielen, werden die Verbandsbosse künftig versuchen, den Zorn weiter auf Trittin zu lenken. Wir sollten uns davon nicht beeindrucken lassen: Die Industrie gibt es längst nicht mehr.
MATTHIAS URBACH