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Archiv-Artikel

Denkzettel für Blair

Labour verliert Nachwahl in multikulturellem Wahlkreis Brent East in London. Liberale Irakkriegsgegnerin siegt

DUBLIN taz ■ Brent East galt bisher als Wahlkreis, den die britische Labour Party gar nicht verlieren konnte. Es war der Wahlkreis des „roten Ken“ Livingstone, bis er aus der Labour Party hinausgeworfen und zum Londoner Bürgermeister gewählt wurde. Gestern kurz nach Mitternacht musste die Regierungspartei den innerstädtischen Londoner Bezirk an die Liberaldemokraten abgeben. Bei der Nachwahl, die wegen des Krebstodes des bisherigen Labour-Abgeordneten Paul Daisley erforderlich geworden war, gewann die Liberalen-Kandidatin Sarah Teather mit 1.118 Stimmen Vorsprung. Daisley hatte bei den Wahlen 2001 noch 13.000 Stimmen mehr als die Konservativen gehabt, die die Liberalen damals noch auf den dritten Platz verwiesen hatten. Diesmal landete die konservative Kandidatin Uma Fernades, die aus Mauritius stammt, abgeschlagen als Dritte. Die Wahlbeteiligung lag nur bei gut 36 Prozent.

Teather ist nun die jüngste Abgeordnete im Londoner Unterhaus: Sie ist erst 29 Jahre alt. Die Pharmakologin, die für eine Wohltätigkeitsorganisation in der Krebsforschung arbeitet, ist seit zehn Jahren Mitglied bei den Liberaldemokraten, die sich als Antikriegspartei zu profilieren versuchen. „Tony Blair, ich hoffe, dass Sie jetzt zuhören“, sagte sie in ihrer Siegesrede. „Die Menschen in Brent haben für das britische Volk gesprochen.“ Ihr Parteichef Charles Kennedy sagte, dass der Wahlsieg seiner Partei Auftrieb für ihren Parteitag in der nächsten Woche geben werde. „Wir haben in diesem ethnisch vielfältigsten Wahlkreis Großbritanniens gezeigt, dass wir für jeden Teil der Gesellschaft sprechen können“, sagte er. „Die Leute wollen die Botschaft der Liberaldemokraten hören und unterstützen sie.“

Die Labour Party, die zum ersten Mal seit 15 Jahren eine Nachwahl zum britischen Unterhaus verloren hat, tat das Ergebnis als typisch ab. „Es war eine Nachwahl“, sagte der unterlegene Kandidat Robert Evans, „und die Wähler haben von ihrem Recht Gebrauch gemacht, anders als bei einer Parlamentswahl zu stimmen. Natürlich sind wir enttäuscht, aber wir kommen zurück.“ Der Labour-Geschäftsführer Ian McCartney räumte ein, dass die Niederlage mit dem Irakkrieg zusammenhänge. „Die Kontroverse um den Irak-Konflikt hat Brent East zur schwierigsten Nachwahl für uns in den letzten 20 Jahren gemacht“, sagte er. „Ein überproportionaler Anteil unserer Stammwähler ist diesmal zu Hause geblieben.“

Brent East hat einen hohen Anteil an muslimischen Wählern, die offenbar den Liberalen ihre Stimme gaben, weil sie die einzige der drei großen Parteien sind, die sich gegen den Irakkrieg ausgesprochen haben. Die anderen Anti-Kriegs-Kandidaten von Kleinparteien konnten davon nicht profitieren.

RALF SOTSCHECK