: Türkische US-Hilfstruppe unbeliebt
Die türkische Regierung debattiert über einen Militäreinsatz im Irak. Doch je länger sich die Entscheidung hinzieht, desto unwahrscheinlicher wird ein türkischer Einsatz. Der stößt in der Bevölkerung wie im Irak ohnehin auf starke Vorbehalte
aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH
Die Frage, ob die Türkei Truppen in den Irak entsenden wird, bleibt offiziell weiter offen. Bei einer Sondersitzung des Nationalen Sicherheitsrats gestern Nachmittag gab es noch keine Entscheidung. Doch auch wenn die Regierung beteuert, sie sei grundsätzlich bereit, sich mit bis zu 10.000 Soldaten an einer „humanitären Aktion“ im Irak zu beteiligen, wird eine türkische Truppenentsendung immer unwahrscheinlicher.
Der Sicherheitsrat diskutierte Berichte verschiedener Delegationen, die vor Ort untersucht hatten, wie Iraks Bevölkerung auf türkische Truppen reagieren würde. Die Berichte können nicht sehr ermutigend gewesen sein, denn bis auf einige Stammesführer lehnen die meisten irakischen Vertreter den Einsatz türkischer Truppen in ihrem Land ab.
Nachdem zunächst nur die Kurden sich gegen den türkischen Einsatz aussprachen, äußerte sich zur allgemeinen Überraschung auch der Chef des von den USA eingesetzten provisorischen Regierungsrats, Ahmed Chalabi, sehr skeptisch. Bei einem Besuch in Ankara machte er klar, dass Iraks Regierungsrat generell der Meinung ist, es seien genügend ausländische Truppen im Land. Wenn überhaupt, sollten weitere Soldaten nicht aus den Nachbarländern kommen. Selbst US-Außenminister Colin Powell erfuhr bei seinem jüngsten Irakbesuch, dass die Vorbehalte gegen türkische Truppen erheblich sind.
Damit droht das Konzept der türkischen Regierung, nicht als US-Hilfstruppe, sondern quasi auf Einladung der Bevölkerung ins Nachbarland zu gehen, zu scheitern. Auch die Gespräche zwischen der türkischen und US-Regierung laufen wenig erfolgreich. Ein Treffen zwischen Ministerpräsident Tayyip Erdogan und US-Botschafter Eric Edelmann war aus türkischer Sicht sehr unbefriedigend, weil Edelmann erneut keine konkreten Zusagen machen konnte, wann und wie die US-Armee im Nordirak gegen die PKK vorgehen will. Für die Türkei kommt ein Einsatz im Zentralirak nur in Frage, wenn die USA dafür die PKK-Lager im Nordirak ausheben und die Führer der kurdischen Guerilla an Ankara übergeben. Je länger sich die Entscheidung hinzieht, desto stärker werden die Anzeichen, dass die türkische Regierung sich erneut den US-Wünschen nach militärischer Unterstützung entziehen wird.
Die Bevölkerung ist nach wie vor gegen ein Eingreifen im Irak. Auch prominente Vertreter der regierenden AKP wie der Sprecher des Auswärtigen Ausschusses des Parlaments, Mehmet Dülger, sprechen sich explizit gegen eine Truppenentsendung aus. Am 12. Oktober findet der erste große Parteitag der AKP seit der Regierungsübernahme statt, und Erdogan wird abwarten, wie die Delegierten sich verhalten. Wie sehr sich die Stimmung schon jetzt gegen einen Irakeinsatz verfestigt hat, wurde deutlich, als gestern der Vorsitzende des Industrieverbands, der bisher für einen Einsatz war, plötzlich umschwenkte und türkische Truppen im Irak nur noch unter UN-Kommando gutheißt.