: „Das war eine Ausnahme“
Die Forderungen der Polizeigewerkschaften nach den Krawallen am Wochenende hält Michael Gabriel von der Koordinationsstelle Fanprojekt für Instrumentalisierungsversuche. Er plädiert stattdessen für Deeskalation
Michael Gabriel, 45, leitet die Koordinationsstelle Fanprojekt, die Dachorganisation der 40 Fanprojekte. FOTO: PRIVAT
taz: Herr Gabriel, die Polizeigewerkschaften fürchten künftige Todesfälle bei Fußballspielen und fordern Präventivhaft für Hooligans. Zurecht?
Michael Gabriel: So argumentieren hilflose Politiker in Italien, wo die Gewalt ja tatsächlich eskaliert und der Fußball von innen zerstört ist. In Deutschland ist die Lage aber eine andere, das Verhältnis zwischen Vereinen, Fangemeinschaften und der Polizei ist recht stabil. All diese Bemühungen für friedliche Spiele wischen die Polizeigewerkschaften mit ihren Äußerungen jetzt beiseite.
Wozu also diese realitätsfernen Forderungen?
Das sind einfach Versuche, die Krawalle in Hamburg zu instrumentalisieren. Letztlich geht es ja um die Debatte, dass die Vereine die Kosten der Polizeieinsätze zahlen sollen.
Wie konnte es denn zu den Krawallen kommen?
Die Situation war enorm aufgeladen, es ging ja nicht mehr ums Spiel, sondern um Weltanschauungen. Und es gab Ankündigungen auf allen Ebenen, so dass sich die Sache hochgeschaukelt hat. Aber das war eine Ausnahme und muss als solche analysiert werden. Die Polizeigewerkschaften reagieren aber darauf mit einem Reflex: mit dem Ruf nach mehr Härte. Dabei geht es ja schon hart genug zu.
Inwiefern?
Die Fußballfans fühlen sich doch gegängelt – auch zurecht. Von Sicherheitsorganen, der Polizei, aber auch von den Verordnungen in den Stadien. Wenn Fangruppen eine Choreografie machen wollen, müssen sie sich einem aufwendigen Verfahren aussetzen, Anträge und Gutachten einreichen, nicht viel anders als bei einer Behörde.
Beim Kesselmodell kommt der Druck von außen und wird von innen mit Entladung beantwortet. Galt das auch für das Spiel St. Pauli-Rostock?
Eigentlich hat St. Pauli eine vorbildliche Fankultur, man ist da Vorreiter. Choreografien und vieles, was anderswo verboten ist, sind im Stadion genehmigt, auch für die auswärtigen Fans. Aber dieser Vertrauensvorschuss vom Verein muss von den Fans auch zurückgezahlt werden. Wenn etwas passiert, wie jetzt mit den Rostockern, wird sich die Lage ändern. Die werden auf St. Pauli das nächste Mal nicht wieder so gute Bedingungen vorfinden.
Aber das hieße doch, dass die Offenheit zur Eskalation beitragen kann.
Unter Umständen ja. Aber es gibt mehr Gegenbeispiele. Spiele, bei denen es trotz strengster Auflagen und massiver Sicherheitskontrollen gebrannt hat. Es scheint nahezu unmöglich, zu verhindern, dass Fans Bengalen mit ins Stadion bringen.
Wie beurteilen Sie denn den Polizeieinsatz vom Wochenende?
Ich kann dazu wenig sagen, da ich nicht da war. Aber Polizeieinsätze haben immer dann funktioniert, wenn sie auf Kommunikation und Information Wert gelegt und Verständnis und Respekt für die Besonderheit jeweiliger Fankulturen gezeigt haben. INTERVIEW: MAXIMILIAN PROBST