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Archiv-Artikel

Billige Nahrung überschwemmt das Revier

Die Städte im Ruhrgebiet leiden unter einer Flut von Aldi und Co. Die Billigläden ziehen KundInnen auf die grüne Wiese und lassen Zentren veröden. Noch haben die Kommunen wenig Spielraum, die Preiskrieger zu vertreiben

RUHR taz ■ Die kleinen Preise besetzen die Städte im Ruhrgebiet: Aldi, Lidl und Plus verwandeln immer mehr grüne Wiesen am Stadtrand in Billigcenter. Ihr wachsendes Nebensortiment vom Wäschetrockner bis zur Büroklammer schadet dem Einzelhandel. Die Kommunen suchen nach neuen Wegen, die Ansiedlung der Geschäfte zu verhindern.

Am dramatischsten ist diese Entwicklung in Mülheim: Hier gibt es mittlerweile 30 Discounter. Die Verbraucher könnten sich zwar über sinkende Preise freuen, sagt Stadtplaner Ralf Hornbostel. „Aber das ist nur ein Pyrrhussieg.“ Auf Dauer würden die Stadtteilzentren veröden und immer unattraktiver werden. Hornbostel fordert, den Städten mehr Möglichkeiten zu geben, die Discounter abzulehnen. „So können wir nur den Baukränen hinterhergucken.“

Vor allem die selbst ernannten ProjektentwicklerInnen machen den Kommunen zu schaffen. Das sind kleine Unternehmen, die ohne Auftrag durch die Lande reisen und freie Flächen für die Supermärkte suchen und sie diesen dann anbieten. Dafür kriegen die selbst ernannten Scouts von Aldi und Co. eine dicke Provision. Der Stadt wird dann ein Bauantrag für die grüne Wiese oder die zentrale Baulücke präsentiert, den sie nach bestehendem Recht kaum ablehnen kann. Der Grund: Alle Läden unter 700 Quadratmetern unterliegen nicht dem Einzelhandelserlass und können kaum beschränkt werden.

„Wir haben wenig Handhabe“, sagt Heike Dongowski vom NRW-Städtebauministerium. Natürlich seien Konzepte für den Einzelhandel erwünscht, aber diese seien immer von den lokalen HändlerInnen abhängig. Generell sei aber klar, dass die massive Preispolitik der Billigketten auf Kosten der lokalen Anbieter gingen.

„Der Einzelhandel gehört in die Innenstadt,“ sagt der Leiter des Bochumer Planungsamtes Walter Göschel. Der Markt sei mehr als gesättigt und könne keine weiteren Läden verkraften. Den Städten falle es allerdings schwer, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. „So ein Genehmigungsverfahren dauert oft mehrere Jahre“, so Göschel. Bisher habe man eher versucht, die grünen Wiesen vor der Stadt zu verteidigen.

Auch Essen will lieber kleine Läden in der Innenstadt. „Wir hätten gerne kleine Spezialisten, wie zum Beispiel für Südfrüchte“, sagt Sprecher Detlev Feige. Für so ein Angebot kämen die Menschen auch schon einmal von weiter her. Außerdem gehörten die kleinen Läden zur Strategie der Stadt, MieterInnen ins Zentrum zu holen, zum Beispiel Studierende der nahe gelegenen Universität. Essen feile gerade an attraktiven Gutschein-Systemen für kleine HändlerInnen. Feige glaubt, so die Discounterwelle klein halten zu können.

Oberhausen hat die Discounterschwemme noch gar nicht erkannt. Sprecher Rainer Suhr Oberhausen freut sich über seine eigenen Schnäppchen. „Als Kunde finde ich es prima, nicht mehr so weit fahren zu müssen.“

Aber die Discounter können sich über ihre freie Entfaltung in den Städten nicht uneingeschränkt freuen. Schließlich tragen die KundInnen nicht automatisch mehr Ware zur Kasse. Laut einer am Donnerstag veröffentlichten Erhebung des Landesamtes für Statistik ging der Umsatz im Lebensmittelhandel im Vergleich zum Vorjahr um 7,2 Prozent zurück. Die Ketten helfen sich auf ihre Weise: Allein in Mülheim sind drei Grundstücke von Aldi und Lidl aufgekauft worden. Selbst bebauen wollen sie diese Fläche aber nicht – sie wollen nur den Konkurrenten ausschalten. Die Flächen liegen seitdem brach. ANNIKA JOERES