piwik no script img

Archiv-Artikel

Rohstoff fürs Katzenklo

Seegras gehört zu der Art Strandgut, das in der Regel auf Deponien oder dem Komposthaufen landet. In Mecklenburg-Vorpommern wird der Bioabfall jetzt aufbereitet und vermarktet

Die Käufer stehen Schlange – vor allem das Hauptprodukt Dämmstoff ist bei Baufirmen gefragt

von Esther Geißlinger

Das Zeug schlingt sich SchwimmerInnen um die Beine, und wenn es an Land gespült wird, liegt es im Sand wie die struppigen, feuchten Haare einer Meeresgottheit mit Frisurproblemen – Seegras gehört zu der Art Strandgut, um die KüstenbewohnerInnen und UrlauberInnen gerne einen Bogen machen.

Das ist nicht ganz leicht: Allein auf den 3,3 Kilometern Küste, die zum Bereich des Amtes Klützer Winkel in Mecklenburg-Vorpommern gehören, fallen jährlich 600 Kubikmeter Seegras an. Das brachte die Verantwortlichen auf eine Idee: Statt die abgerissenen Pflanzen – wie anderswo üblich – auf Deponien zu entsorgen, werden sie in Klütz aufbereitet und verwertet. Zurzeit entstehen zwei Produkte aus dem Meeresabfall: Platten zur Wärmedämmung, die in Häuser eingebaut werden, und Katzenstreu.

„Ich glaube an das Projekt“, sagt Bernd Anders. Der Koordinator für die Seegrasverarbeitung und -vermarktung im Amt ist bisher ein einsamer Rufer an der Küste. Das trägt er gelassen: „So ist es ja oft mit neuen Dingen – erst wird man belächelt, dann schlägt es allmählich um.“

Dabei hilft, dass das Amt Klützer Winkel im Jahr 2002 mit dem Umweltpreis des Landes Mecklenburg-Vorpommern ausgezeichnet wurde. Auch die EU-Kommission ist schon überzeugt: Sie fördert das Projekt, an dem sich acht PartnerInnen aus drei Ländern beteiligen. Und: Der Druck auf andere Küsten-Gemeinden, sich um das Seegras zu kümmern, wächst. Ab 2005 darf der Bioabfall nicht mehr einfach auf eine Deponie geschüttet werden. Dann tritt eine neue Abfall-Verordnung in Kraft, die unter anderem vorschreibt, dass Stoffe untersucht und fachgerecht gelagert werden müssen. „Einige Gemeinden machen heute eine sozusagen illegale Entsorgung und kippen das Seegras irgendwo hin“, weiß Anders. „Andere kompostieren es oder bringen es auf Äcker – das ist ab 2005 ohne Prüfung verboten.“

Seegras sei zwar in der Regel nicht belastet, erklärt der Fachmann. Die Meerespflanzen saugen sich aber voller Salze, die teilweise Natrium und andere Stoffe enthalten. „Das ist eigentlich alles im unbedenklichen Bereich, aber wenn man es immer wieder auf die gleiche Deponie oder den gleichen Acker tut, geht das Salz in den Boden.“

Rund 30 Euro koste die fachgerechte Kompostierung eines Kubikmeters Seegras, rechnet Anders vor. Für viele Gemeinden wäre es daher sogar billiger, den Transport nach Klütz zu zahlen, wo der Abfall sinnvoll verwertet wird. Damit würde sich auch die Aufbereitungsanlage des Amtes lohnen, die die Grasfasern nach Länge und Stärke sortiert, damit sie zu Streu oder Dämmstoffen weiterverarbeitet werden können. „Bisher trägt sich die Anlage nicht“, gibt Anders zu. „Weil wir nicht genug Rohstoff bekommen.“ Die Käufer dagegen stünden Schlange – vor allem das Hauptprodukt Dämmstoff sei bei Baufirmen gefragt. Erleichtert wird die Arbeit, wenn Gemeinden das Seegras bereits vorgereinigt anliefern. Eine entsprechende Maschine geht in diesen Tagen in Scharbeutz in den Probebetrieb. Schließen sich weitere Küstenorte zwischen Rügen und Flensburg an, etwa mit eigenen Aufbereitungsanlagen, käme das Klützer Projekt schnell in die schwarzen Zahlen, hofft Anders. Dann müssten die Verarbeitung und der Verkauf in größerem Stil passieren – bisher stehen GemeindearbeiterInnen an der Anlage, in Zukunft könnte sich eine eigene Firma darum kümmern. „Es wäre der Hammer, wenn es uns gelänge, langfristig Arbeitsplätze zu schaffen“, träumt Anders laut.

Auch die Produktpalette könne sich deutlich erweitern: Seegras ist schwer brennbar und speichert andere Stoffe gut. Beides ist ein Hindernis, wenn es darum geht, die sperrigen Fasern als Müll zu entsorgen, als Wertstoff dagegen kann es nützlich sein. Das Amt Klützer Winkel ist mit Firmen im Gespräch, die die Meerespflanze unter anderem für Ruß- und Schwermetallfilter einsetzen wollen – eine billige und umweltfreundliche Alternative: „Die bisherigen Filter enthalten Schadstoffe und müssen als Sondermüll entsorgt werden. Seegras nicht“, erklärt Anders.

Gleiches gilt für das Katzenstreu, das unter dem Namen „Zostera-Cat“ auf dem Markt ist: Wenn die Mieze die Seegras-Kügelchen beschmutzt hat, können Herrchen und Frauchen das Katzenklo auf dem Kompost oder in die Biotonne entleeren – handelsübliches Streu gehört in den Restmüll.