: Tanz die Diät
Die Bremer Band Klezgoyim bringt ihre aktuelle CD nicht nur als Tonträger, sondern auch als Tanz-Workshop heraus. Das Motto heute und morgen im Kulturzentrum Westend: „Klezmer sol sayn getantst“. Zum Abschluss die Record-Release-Party
Klarinettiertes Jubilieren, Vokaljuchzlaute, Akkordeonwimmern, Geigenseufzer – und überhaupt diese jähen Empfindungswechsel. Welch Musizierkunst, eine schwermütige Weise über den inbrünstig betenden Rabbi in ein losgelöst heiteres Besäufnisliedchen zu verwandeln. Und wie sich diese Ambivalenz als Sensibilität für die Widersprüche und Brüchigkeit des Daseins vermitteln lassen. All das hat funktioniert. Ein wahrer Boom widerfuhr in den 90er Jahren auch in Deutschland der traditionellen aschkenasischen, säkularen jüdischen Festmusik. Ihre Ursprünge reichen bis ins mittelalterliche Osteuropa zurück.
Seither gibt es keinen TV-Film, keinen Radio-Beitrag und kein Theaterstück mehr über jüdische Themen, ohne dass Klezmer-Musik erklingt. Keine Kirche, kein Kulturzentrum ohne Klezmer-Konzert. Keine anständige CD-Sammlung mehr ohne Klezmer-Album. An die 100 Bands beschäftigen sich in Deutschland mit dem Klezmeraj, dem Klezmer-Sein. „Die Kinder unserer Mörder sind auf der Suche nach den Geheimnissen unserer gemarterten Weisen“, verkündete mit einer gehörigen Portion Chuzpe die US-Band Brave New World in einem ihrer CD-Booklets.
Jiddische Musik kaufen als Wiedergutmachung? Multikulti-Folk-Mode? Bezieht sich das Interesse auf das jüdische Vakuum, das durch den Holocaust entstand – oder ganz allgemein auf eine spirituelle Leere? Oder fasziniert Klezmer einfach als offene Musik, die sämtliche Elemente in sich aufnahm, die ihr auf der stilistischen Wanderschaft von der Balkan-Folklore zum amerikanischen Jazz begegneten? Immer neue Rhythmen wurden fusioniert, ständig neue Instrumente integriert. Eine Musik, bei der sich puristisch museale Herangehensweise verbietet.
Dem Reiz dieser Entwicklungspotenziale folgt seit über zehn Jahren auch die Bremer Klezmer-Institution Klezgoyim. Das Wiederbeleben alter Stücke mit einer Arrangierkunst zwischen Tradition und Moderne, das Entwickeln eigener Kompositionen zwischen Historisierung und neugierigem Erforschen eines eigenen Sounds, die frei schweifend improvisatorische Auseinandersetzung: Klezgoyim hat alles ausprobiert. Und dabei festgestellt, „dass die Tanzmusik zur Bühnenmusik verkommen ist“. So beschreibt Klezgoyim-Gitarrist Stefan Kühne den Umstand, den Partykontakt zum Publikum verloren zu haben. „Vielleicht liegt es daran, dass man sich in Deutschland immer so gründlich mit der Kultur auseinandersetzen muss und daher das Bewegungspotenzial der Musik nicht mehr genutzt wird.“ Allen solistischen Ausbrüchen und rhythmischen Forcierungen zum Trotz. Aber Hoffnung naht.
Von der Bühne herab wollen die Klezgoyim-Musikanten ausgemacht haben, dass die Zuhörer zwar ihren Pöter nicht hochkriegen, aber mit ihm doch unruhig auf dem Konzertgestühl herumrutschen. Damit das Publikum der Musik auch körperlich wieder Ausdruck verleihen kann, so Kühne, soll Klezmer vom Kopf auf die Füße gestellt werden. „Klezmer sol sayn getantst“, so das Motto der morgen (29. August, 20 Uhr) zu feiernden CD-Veröffentlichung, Klezgoyims fünfter.
In der Kulturwerkstatt Westend gibt es nicht nur eine Party. Auch Tanz-Workshops zu den CD-Titeln werden angeboten. Schließlich handelt es sich dabei um Medleys oder Potpourris: unterschiedliche Melodien des gleichen Tanzes werden zu einem Song arrangiert – so wie auch heutige DJs mehrere Titel gleichen Stils zu einem kontinuierlich groovenden Track remixen.
Für all diejenigen, die Musik lieber lauschend erkunden, sich an der Klezmer-Ästhetik der Verzierungen und der klanglichen Ausarbeitung einfacher Melodiegerüste in Ruhe erfreuen und den kreativen Umgang mit der Historie genießen, ist das Album womöglich eine Enttäuschung. Klezmer ist dort nicht mehr Spielmaterial musikalischer Kreativität, sondern Dienstleistung für Freunde choreografierter Bewegung. Klezgoyim auf Diät.
Gesucht und gefunden hat man die Tanzmusik in den ersten Klezmer-Aufzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert. „Etwa Moshe Beregovskis Sammlung von Notenbüchlein, in denen Melodien und vereinzelt auch Texte zu finden waren“, berichtet Kühne. „Aber nie sind dort Harmonien notiert.“ Auch nicht die dazugehörenden Schrittfolgen.
Die assoziiert Tanzanleiterin Marianne Lange aus ihren historischen Studien hinzu. „Bei einer skandinavischen Silberhochzeit haben wir gespielt“, erzählt Kühne, „als alle völlig betrunken waren, wurde festgestellt, dass norwegische Kreistänze ganz wunderbar zu der Musik passen“. Man muss, man kann es da historisch nicht so genau nehmen.
So ähnlich haben wohl auch die jüdischen Amerika-Auswanderer einen Linientanz kreiert für den Bulgar, einen feurig beschleunigten Tanz aus Moldawien und der Ukraine. Ihn gibt es nun auch bei Klezgoyim zu erlernen. Wie auch den langsameren Freylekh im 2/4-Takt, für den sich Kreistänze aus Norwegen auch gut eignen. Reizvoll auch „A Hora mit Tsibeles“, ein rumänisch-jüdischer Tanz im stotternden 3/8-Takt, benannt nach der Tanzaufstellung einander umschließender „Zwiebelringe“. Der Sher gehört zur Gruppe der Figurentänze: Wie bei einer Quadrille wird im Karree getanzt.
Auch ein Walzer hat sich auf die CD und ins Tanzprogramm geschlichen. Was Klezmer-geschichtlich korrekt ist. Denn bereits im 18. Jahrhundert galten die fahrenden Klezmorim, die jüdischen Musikanten, als nicht ganz koscher. Da sie für Geld auch auf christlichen Hochzeiten zum Tanze aufspielten und dort mal eine Polka oder einen Walzer klezmerisierten. Wobei eben gerade ein klassischer Paartanz wie der Walzer bei den Chassidim und orthodoxen Gemeinden verpönt war. Mann tanzte nicht mit Frauen, sondern getrennt am besten gleich in getrennten Räumen. Heute darf‘s Frollein den werten Herren sogar kräftig anfassen. Paarbildungen sind erwünscht. Klezmer ist zurück auf der Party. fis
Klezgoyim: Sol sayn getantst, Yellowjacket, 13 Titel, Spieldauer 58:49 Minuten – plus Filmausschnitt eines Tanzworkshops. Infos: www.klezgoyim.de