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Archiv-Artikel

Ein Tor für die rechte Szene

Rechte marschieren durchs Brandenburger Tor – zum zweiten Mal seit Kriegsende überhaupt. Nur die Polizei war überraschenderweise überrascht. Antifa-Initiative kritisiert Ordnungshüter. CDU will Versammlungsrecht verschärfen

Der erste Mai kommt jedes Jahr – inklusive „revolutionärer Demo“ und Krawallen. Auf beides ist die Berliner Polizei stets vorbereitet: auf Demo und Krawalle. Daher werden Demonstranten auch nach Auflösung der Demo weiter beobachtet. Am anderen Ende des politischen Spektrums ist die Polizei weniger weitsichtig. Zwar war sie auf eine angemeldete Kundgebung der rechten Szene am Mittwochabend vorbereitet, auf die sich anschließende Provokation jedoch nicht: Die Neonazis marschierten mit Fahnen und Transparenten durch das Brandenburger Tor.

Ursprünglich hatten etwa 70 Neonazis vor der britischen Botschaft nahe Unter den Linden demonstriert. Sie forderten die Veröffentlichung der Akten über den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß. Diese Veranstaltung war angemeldet und genehmigt worden.

Hintergrund: Heß war 1941 nach Schottland geflogen, um mit den Briten zu verhandeln. Er wurde gefangen genommen und nach dem Krieg zu lebenslanger Haft verurteilt. 1987 erhängte er sich in seiner Zelle in Spandau. Rechte Verschwörungstheoretiker meinen, Heß sei vom britischen Geheimdienst umgebracht worden. Das durften die Demonstranten nicht öffentlich behaupten. Dennoch gab es auf der angemeldeten Kundgebung Transparente mit der Aufschrift: „Mord verjährt nie“.

Gegen 21 Uhr beendeten die Neonazis ihre Veranstaltung. Viele machten sich jedoch nicht auf den Heimweg. In einer offenbar verabredeten Aktion versammelten sich rund 60 vor dem Brandenburger Tor und marschierten hindurch. Die Polizei musste von Passanten informiert werden und kam zu spät, um den Durchmarsch noch zu verhindern. Die Rechten flüchteten dann in den Tiergarten. Die Polizei leitete Strafverfahren wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ein. Konkrete Hinweise auf Täter gebe es aber noch nicht.

Kritik am Vorgehen der Polizei kommt unter anderem vom Antifaschistischen Pressearchiv. „Normalerweise bleibt die Polizei an den Teilnehmern von Demos dran“, heißt es dort. Wirklich überrascht habe die Polizei nicht sein können, schließlich gebe es jedes Jahr Veranstaltungen der rechten Szene zum Todestag des Hitler-Stellvertreters.

Die rechte Szene feiert sich unterdessen selbst: In Internetforen und auf Websites finden sich Fotos und Jubel über die Aktion. Erst einmal war es ihnen zuvor gelungen, durch das Tor zu ziehen – am 29. Januar 2000.

OLIVER TRENKAMP