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Archiv-Artikel

Haste mal ’nen Markt?

Eine unabhängige Studie soll die Existenz des Berliner Kunstmarkts unumstößlich belegen. Bei den Erfolgsmeldungen kommt es allerdings auf die Sichtweise an

Beim diesjährigen „Kunstherbst Berlin“ dreht sich alles um die Zusammenhänge von Kunstproduktion und folgender Vermarktung. Neben Gesprächsrunden, die das Phänomen von „Ebay“- und „Aldi“-Kunst untersuchen, wird vor allem die erste große Studie zum Kunstmarkt Berlin mit Spannung erwartet. Das Institut für Kultur- und Medienmanagement (IKM) der FU Berlin hat Galerien aus Berlin anonym nicht nur nach Umsatzzahlen, vertretenen Künstlern und Marketingaktivitäten befragt, sondern auch nach dem durchschnittlichen Alter und der Herkunft von Sammlern und Erstkäufern. Durch Korrelation von Galerieaktivität und Kundengruppe sollen Erfolgsprognosen möglich werden und so Handlungspotenziale für Galeristen und Politiker aufgezeigt werden. „Ziel ist es, mit dem Klischee, es gebe in Berlin keinen Kunstmarkt, Schluss zu machen“, sagt IKM-Direktor Klaus Siebenhaar.

Der Landesverband der Berliner Galerien (LVBG) hatte schon im letzten Jahr genauer nachgezählt und war auf knapp 300 heimische Galerien gekommen, die 4.000 Künstler aus dem In- und Ausland vertreten. Produktion hui, Konsum pfui – denn was der LVBG ebenfalls feststellte: Es gibt nicht genug Sammler in Berlin, die die Kunst, die in dieser Stadt gemacht wird, auch kaufen. „Es war die besondere Situation Berlins als geteilte Stadt, die zu einem Aderlass von Sammlerklientel geführt hat“, sagt Werner Tammen, erster Vorsitzender des LVBG. Selbst der „Hauptstadteffekt“ führe nur langsam zu einer Trendwende.

So war es bisher ein ungeschriebenes Gesetz, dass namhafte Berliner Galerien ihre besten Geschäfte in Westdeutschland oder im Ausland machen. Doch gerade die Studie des IKM soll jetzt zeigen, dass diese Vorstellung eines vor allem nach außen gerichteten Verkaufs von Berliner Galeristen nicht zutrifft. Der Direktor des IKM möchte das Prinzip, das Tammen die „regionale Schwäche“ Berlins nennt, insofern infrage stellen, als dass man es „differenzierter sehen müsse. Galerien machen in Berlin gute Geschäfte – auch mit Berlinern“, erklärt Siebenhaar.

Sollte diese Ankündigung stimmen, wäre das eine große Überraschung. Sollte sich gar eine Galerie hauptsächlich durch den Verkauf an Berliner Sammler tragen, käme das einer Sensation gleich. Denn das Stimmungsbild, dass Berlin zwar eine tolle Stadt ist, aber kein Geld für Kunst ausgibt, hält sich recht hartnäckig in der Kunstszene.

So bezeichnet Kunstmarkt-Schwergewicht Max Hetzler die Spreestadt als eine ausgezeichnete Wahl für seine Galerie. Seine Umsätze mit Berlinern bezeichnet der Galerist von Thomas Struth und Jeff Koons allerdings als „unbedeutend“. Ähnliches gilt für die Galerie Wohnmaschine, die in Mitte hauptsächlich internationale, zeitgenössische Künstler ausstellt. „In den letzten Jahren betrug der Verkauf an einheimischen Sammler immer unter zehn Prozent des Gesamtumsatzes“, sagt Geschäftsführerin Katia Reich.

Überraschend positiv bewertet dagegen Gerd Harry Lybke von Eigen+Art die Situation. Für den umtriebigen Kunsthändler, der aktuelle Maler aus Leipzig wie Neo Rauch international bekannt machte, ist Berlin schon wegen der Nähe zu seiner sächsischen Ausgangsbasis wichtig. Zudem könne er seine Künstler hier gut verkaufen, sagt Lybke – und zwar „zu 40 Prozent an Menschen, die sich in ihrem Bewusstsein auf Berlin reflektieren“. Dabei zählt er auch Käufer mit, die regelmäßig Wochenendtrips in die Spreemetropole machen.

Lybkes Worte zeigen: Es kommt auch beim Kunstmarkt auf die Sichtweise an. Wenn Siebenhaar Ende September die unbestechlichen Fakten seiner Studie vorstellt, sollte man trotzdem nicht den Einzelfall aus den Augen verlieren. Eine Galerie, die beispielsweise bevorzugt an Berliner verkauft, ist Knoth & Krüger in der Oranienstraße. Seit anderthalb Jahren machen hier drei Freunde teilweise wöchentlich wechselnde Ausstellungen. Sie finanzieren sich über einen angeschlossenen Plattenladen und Kneipenjobs. Wenn jemand aus dem Freundeskreis Geld hat, kauft er vielleicht ein Exponat für 20 Euro. Ab und zu kommen amerikanische Touristen in den Laden, die dann schon mal 200 Euro für echte Kreuzberger Kiez-Kunst löhnen. Auch das ist der Berliner Kunstmarkt.

TIM ACKERMANN