Das ist doch kein Sport mehr

Die Olympia-Berichterstattung von ARD und ZDF überschattete in den letzten beiden Wochen unser Leben. Zeit für eine abschließende Kampfrichterwertung: Die öffentlich-rechtliche Berieselung war eine Zumutung mit wenig Interesse am Sport

VON JAN FEDDERSEN

Talkrunde bei Johannes B. Kerner im ZDF. Er musste nichts aufmotzen, er, sonst Spitzenanimateur selbst für schwer verkäufliche, weil nicht deutschmedaillengesegnete Produkte (Bogenschießen, Ringen, Gewichtheben), durfte sich zurücknehmen. Denn er hatte die kurz zuvor im Finale siegreichen Hockeyfrauen zu Gast – eine Show des baren Nachfühlens. Worte wie „sensationell“, „toll“, „überraschend“ fielen sowie Wendungen wie „kaum zu glauben“ oder „das ganze Spiel gezittert“. Man konnte als TV-Zuschauer nichts dagegen einwenden: Freude ist Freude, die von Außenseiterinnen sowieso. (Wie man auch aufrecht empört war über die Paragrafenhuberei in Sachen Military, als der Reiterin Bettina Hoy zwei Goldmedaillen aberkannt wurden.)

Aber nur zehn Minuten später, als einige Bilder von der Rhythmischen Sportgymnastik eingeblendet wurden, war Kerner wieder ganz das Animationstalent, als das man ihn verabscheut. Die Einblendung war schon deshalb nötig, weil dieser olympische Teilbereich in Ermangelung kalkulierbarer deutscher Medaillenchancen nicht direkt übertragen wurde. Die frühere Spitzengymnastin Magdalena Brzeska war nun zu Gast – und Guido Westerwelle. Obskur genug: Welche Botschaft hat einer wie der FDP-Vorsitzende denn? Außer „Ich mache einen Ausflug nach Athen“?

Das allein war schon nichtsnutzig und grotesk genug, schließlich konkurrieren unendlich viele Disziplinen um Aufmerksamkeit. Ein Westerwelle raubt den durch das Wort „Randsportarten“ verharmlosten Disziplinen ihren ohnehin kleinen Anteil. Eine Sportart jedenfalls, in der Westerwelle mitmacht, ist nicht überliefert. Die frühere Sportlerin Brzeska sagte, es gebe ja nun auch Rhythmische Sportgymnastik für Männer. Worauf Kerner im Timbre aufs Schenkelklopfen umschaltete: Nein, das wolle er nun gar nicht sehen. Warum, das ließ er offen. Er hätte keine Argumente gehabt. Wenn Frauen den Hammer werfen wollen oder ringen oder Gewichte stemmen, warum sollten Männer nicht auch jene Sportarten erobern, die als klassisch weiblich gelten?

Fragen, die einer wie Kerner vermutlich nicht einmal für möglich hält. Wobei einer wie er selbstverständlich, ganz Medienprofi, sagen würde: Sportfernsehen ist nichts für Argumente. Die Flut der Bilder sei die Botschaft, Präsenz als solche, nicht die pfiffige Nachfrage.

Im Grunde, das steht seit diesen Olympischen Spielen fest, ist Kerner – stets die von ihm meisterlich kultivierte Form des dummen, pseudoneugierigen Schuljungen wahrend – nie mehr als Kerner. Eine womöglich gerade ihrer scheinneugierigen Attitüde wegen populäre Gestalt – ein Bollwerk gegen jedes echte Interesse am Sport.

Das Publikum steht ihm und seinen KollegInnen bei. ZDF und ARD tröten es stolz heraus: Wir haben mit Olympia Quote gemacht und Marktanteile erobert. Sogar das IOC belobigte beide Sender offiziell und öffentlich: tolles Programm, kompetent und gut und dem olympischen Zwecke dienlich. Ein frustrierender Befund.

Denn allen Quoten zum Trotz ist ja die öffentlich-rechtliche Olympiaberieselung, die seit gut zwei Wochen waltet, eine Verdummungsmaschine. Rund um die Uhr nur Schnipsel – beachtet wird fast nur, was deutsche Siege verheißt. Vom Synchronschwimmen sieht man nur Ausschnitte. Ein Radreporter sagt, eine norwegische Athletin fahre „so präzise wie ein norwegisches Uhrwerk“, und wenn der Spruch, phraseologisch betrachtet, nicht ohnehin auf den Index gehörte – was bitte zeichnet ein dezidiert norwegisches Uhrwerk aus? Oder jener Handballreporter, der in einer Begegnung afrikanischer Teams plötzlich, wahrscheinlich spontan, also von Herzen, Gorillaschreie zu hören glaubte – den gleichen Sound aber beim deutschen Tormann Christian Ramoto als Einschüchterungsgebärde erkannte, ohne jede Urwaldfantasie.

Weitere Beispiele ließen sich fast endlos anführen. ZDF und ARD weisen Kritik an Formulierungen und Ausbrüchen gern mit der Begründung zurück, man dürfe „nicht alles auf die Goldwaage legen“. Geschenkt. Dennoch: Man sehnt sich zurück …

Neulich in der Talkshow bei Maybrit Illner. Thema: Olympia. Alle waren aufgeregt, nur einer war die Ruhe selbst. Man erinnerte sich plötzlich an die Zeit, als dieser Mann noch am Reportermikro saß: Harry Valérien. Auch er kein Purist eines Journalismus, der auf jedes Mitgefühl verzichtet und nur die Fakten gelten lässt. Aber, bei aller Emphase, war er doch noch fern jener geschäftsführerhaften Smartheit eines Michael Antwerpes, der alles perfekt im Griff hat und doch immer so wirkt, als spule er ein Pensum ab: ein TV-Angestellter auf Moderationsschicht. Valérien merkte man noch an, dass ihm der Job Spaß machte – und er im Zweifelsfall nichts auf Medaillenspiegel gab. Der den Sport wichtig nahm wie seine glühendsten Verehrer und ihn zugleich nahm als das, was er auch ist: irdisch, flüchtig, momentan – und eben erklärungsbedürftig. Doch was Valérien zu erläutern vermochte, wird von den heutigen Reportern nur noch gewusst und heruntergeschnurrt: Zahlen, Zahlen, Zahlen.

Eine Person aus dem ARD/ZDF-Tross kommt dem Habitus Valériens freilich sehr nahe, das ist Christa Haas. Eine Journalistin, die als „Bardame am Beckenrand“ tituliert wurde – was missverständlicherweise als indignierende Schelte galt. Unfug. Was war Valérien denn anderes als ein Barmann an allen Pisten und Beckenrändern? Das ist eben die Kunst: mistig, freundlich und hartnäckig nachfragen, ohne taktlos zu wirken. Und war es nicht ein Highlight, wie der Experte Stev Theloke ihr bei den Interviews quasi ergebenst zu Füßen lag: ein Dreamteam ohne die Aura von Kumpanei.

Klar, Gerhard Delling, Ralf Scholt und Gerd Rubenbauer in der ARD waren die besseren Leichtathletikreporter, zumal der notorische Expertenpartner Günter Netzers beim Fußball schon durch seine Art des Nachfragens immer etwas neben sich zu stehen scheint. Klar, dass das besser abschneidet als die aufgewühlte Pennälerstocherei eines Norbert König.

Man wüsste gern, was Heinz-Florian Oertel von den Olympia-Leistungen von ZDF und ARD hält. Der DDR-Chefsportreporter hatte ja ebenfalls seine beschämenden Stunden. Waldemar Czierpinski oder Katarina Witt: Was hat er aus den beiden, als sie für die DDR Gold erliefen, gemacht: nordkoreanisch akkurat anmutende Musterathleten im Kalten Krieg. Aber er konnte eben auch anders: stundenlang aus dem Stadion kommentieren, anekdotenreich, entspannt und frei von Hast. Er hätte niemals Sportler ohne jede Medaillenchance zu Exoten verniedlicht. Kalt und gerecht maß er Leistungen: Und wurde den Athleten so mehr gerecht als das bundesdeutschtypische Getue, das dazu führte, dass der unterbegabte Brite Eddie „The Eagle“ Edwards als meist schlechtester olympischer Skispringer zum Star werden konnte: Man lacht über den jovialen Deppen, wobei das Lachen den Hochmut verhüllt: widerlich.

Hat von ARD und ZDF schon mal jemand mitgekriegt, dass Athleten aus der so genannten Dritten Welt in Athen mehr vordere Ränge und Medaillen verbuchen denn je? Wo kümmert man sich um die Frage, weshalb chinesische Sportler so gut sind – und was olympischer Erfolg ihnen in ihrer Heimat ermöglicht? Wo sind die Berichte, die die Not von Sportlern aus dem früheren Ostblock schildern: Hat das dort grassierende Doping etwas mit Überlebenskampf zu tun?

Das sind selbstverständlich keine Fragen, die sich ein Sender wie RTL stellen müsste: Bei dem zählt Quote, egal wie sie erzielt wird. Logisch, dass dieses Unternehmen den Exklusivvertrag mit dem Deutschen Skiverband sofort auflöst, wenn der keine Hannawalds mehr liefert: Völlig unromantisch braucht man bei RTL nur Helden – deutsche Helden. Wenn die fehlen, wird nicht übertragen. Deshalb auch das geringe Interesse, in das Vertragspoker um olympische Senderechte einzusteigen: Zehnte Plätze von Bogenschützinnen oder Judoübertragungen der Vorrunden sind nicht attraktiv.

Ist Eurosport eine Alternative? Manchmal. Und hin und wieder erholsam. Sportfans schätzen die Verlässlichkeit, mit der stundenlang Leichtathletik übertragen wird. Und deren Reporter Dirk Thiele und Sigi Heinrich. Man wünscht sich mehr von solch kundigen Reportern. Und weniger Katarina Witt, die bei Reinhold Beckmann auch keine andere Botschaft hatte als jene, die Guido Westerwelle vor sich herträgt: „Ich bin auch noch da.“