: Hexerei am Äquator
Im Süden Ecuadors bietet Señora Sigua ihre traditionellen Heilkünste zweimal die Woche an. Sie sollen bei Knochenbrüchen, psychosomatischen Störungen und sogar bei Krebs helfen. Die Ecuadorianer vertrauen deren übersinnlichen Kräften
VON SASCHA TEGTMEIER
Sobald die Sonne hinter die mächtigen Gipfel der Anden sinkt, beginnt auf dem kopfsteingepflasterten Marktplatz die Zeit der „Curanderas“. Die 65-jährige Indiofrau Eloisa Sigua setzt sich vorsichtig auf einen Holzschemel und zupft ihre bunte Tracht zurecht. Dann bindet sie geschickt Knoblauch, Engelstrompeten, Rosmarin und andere Kräuter zusammen. Señora Sigua ist eine der fünf Schamaninnen auf dem Marktplatz, die mit diesen grünen Bündeln das Böse aus Menschen herausschlagen wollen, die dafür bezahlen.
Die Ecuadorianer vertrauen den übersinnlichen Kräften der Curanderas (spanisch: Heilerinnen). Auch hier in der 500.000-Einwohner-Stadt Cuenca mit ihren internationalen Banken, autoverstopften Straßen und Internet-Cafés. Señora Sigua kommt zweimal pro Woche aus einem sechs Kilometer entfernten Dorf in die Stadt, um mit dieser traditionellen Magie ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie ist klein, dürr und wirkt zerbrechlich, wenn sie gebeugt durch die Gassen zwischen den Marktständen schleicht.
Señora Sigua sitzt am östlichen Rand des Marktplatzes. Ein Mann hebt seinen vierjährigen Sohn auf den Holzschemel ihr gegenüber. Ängstlich schaut das Kind die Schamanin an. Ohne ein Wort zu sagen, schlägt Señora Sigua ihm mit einem der Pflanzenbüschel rhythmisch auf die Stirn und säuselt dann etwas in ihrer indianischen Muttersprache Quechua. Das Kind weicht ängstlich zurück und schluchzt leise. Die Schamanin zerreibt routiniert einige Blätter und Blüten der Pflanzen, lässt den Jungen daran riechen und streicht ihm damit sanft über Ohren und Gesicht. Die Ecuadorianer nenen dieses Ritual „Limpia“, Reinigung.
„Die Curanderas befreien den Körper von der Last des ‚mal ojo‘ “, sagt unser Begleiter Enrique Crespo. Dieser böse Blick, den Geister auf die Menschen richten, mache die Menschen krank. Der 47-Jährige ist ein moderner Mann, der seit 20 Jahren Sprachtouristen unterrichtet, seine Schwester ist eine angesehene Ärztin in Cuenca. „Diese Frauen können selbst Armbrüche heilen“, versichert er.
„Kinder aus Problemfamilien haben oft körperliche Schmerzen, weil sie zu wenig Liebe bekommen. Die Curanderas können ihnen da helfen“, sagt Enrique. Einige Ecuadorianer wenden sich sogar mit Krankheiten wie Krebs an die Schamaninnen. An der Universität Cuenca wird daher in einem eigenen Forschungsbereich die tatsächliche medizinische Wirkung des Heilzaubers der Curanderas untersucht.
Señora Sigua wirft das grüne Büschel beiseite und rollt vorsichtig ein rohes Hühnerei erst über die Arme, dann über die Beine des Jungen. Das Ei ziehe die von den Schlägen aufgewühlten negativen Energien aus dem Körper heraus, erklärt uns Enrique. Dabei nickt er heftig, als wolle er uns von diesem lateinamerikanischen Brauch überzeugen. Die Schamanin nimmt nun einen braunen Saft aus tropischen Baumwurzeln in den Mund und prustet mit zusammengekniffenen Lippen die dickflüssige Tinktur ins Gesicht des kleinen Jungen. Mit ihrem pulsierenden Zeigefinger wischt die Curandera dann durch eine Blechdose und zeichnet mit schwarzer Creme drei Kreuze auf den Körper des Jungen: jeweils eines auf Stirn, Bauch, Steißbein. Mit diesem Abschluss der spirituellen Reinigung sollen die bösen Geister in Zukunft von dem Kind abgehalten werden.
Die spirituelle Reinigung ist im Vergleich zur kargen Landwirtschaft ein einträgliches Geschäft für Señora Sigua. Für eine Sitzung nimmt sie 50 amerikanische Cents, und das zweimal die Woche. Von Ausländern verlangt sie natürlich etwas mehr Geld, wie ich erfahre, als ich mich auf den Schemel ihr gegenüber setze. „Zwei Dollar“, sagt sie in Spanisch und fügt etwas in ihrer Muttersprache Quechua hinzu, das ich nicht verstehe.
Es ist nicht üblich, mit den Curanderas zu reden. Trotzdem möchte ich von Señora Sigua wissen, wie sie zu ihrem ungewöhnlichen Beruf gekommen ist. „Mein Mann hat meine magischen Kräfte entdeckt“, erzählt sie und lächelt. Vor zwölf Jahren sei ihr Mann gestorben, seitdem verdiene sie mit der spirituellen Reinigung ihren Lebensunterhalt.
Nicht magisch, sondern vor allem entspannend ist es, als sie mich mit dem Kräuterbüschel abklopft und „reinigt“. „Du musst noch zweimal wiederkommen“, sagt sie mir danach in aller Eindringlichkeit. Ich frage mich, ob es ihr dabei vor allem um meine Dollars geht. Enrique meint, das, was die Curanderas sagen, müsse man sehr ernst nehmen. Um kein Risiko mit bösen Geistern einzugehen, gehe ich also in der darauf folgenden Woche wieder zum Markt in Cuenca. Bei Sonnenuntergang.