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Archiv-Artikel

In der Mitte der Gesellschaft

Keine Überraschung: Berlin liegt im bundesweiten Kaufkraftvergleich nur auf Rang 49. Eine große Überraschung aber ist: Das Einkommen von taz-Redakteuren entspricht in etwa dem Berliner Durchschnitt. Was hat das zu bedeuten?

Es sind keine wirklich überraschende Zahlen, die die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung gestern veröffentlichte. Alle Welt weiß, dass Berlin pleite, die Arbeitslosigkeit hoch und der Haushalt unseriös ist. Jeder weiß es, man hat damit zu leben gelernt.

Trotzdem erstaunt es dann doch, wenn man schwarz auf weiß vorgelegt bekommt, wie man damit zu leben gelernt hat und vor allem womit. Berlin belegt in einem Kaufkraftvergleich deutscher Großstädte den 49. Rang. Der Durchschnittsberliner hat laut der Untersuchtung jährlich genau 16.847 Euro zur Verfügung. Das sind genau 5.037 Euro weniger als der Durchschnittsmünchner, der mit 21.884 Euro an der Spitze liegt. So ist die Lage.

Wer aus diesen Zahlen den Schluss zieht, damit entspreche das Einkommen eines taz-Redakteurs ziemlich genau dem Berliner Durchschnitt, hat zwar nicht völlig Recht, weil die Zahlen aus Nürnberg nicht nur Erwerbstätige einbeziehen, sondern auch Rentner, Kinder und Jugendliche. Völlig falsch liegt man damit aber auch nicht. Viel Geld ist das nicht, auch wenn einem die Last, die diese niedrige Kaufkraft bedeutet, dadurch ein wenig erleichtert wird, dass Berlin, wenn es um Lebenshaltungskosten geht, gleichzeitig eine der billigsten deutschen Städte ist.

Die eigentlich interessante Frage, die sich aus diesen Zahlen ergibt, ist aber eine ganz andere: Wenn das taz-Gehalt also gar nicht so niedrig ist, wie man selbst und alle anderen immer wieder bewitzeln, wer drückt denn dann den Durchschnitt, was verdient denn eigentlich der Rest? Die Oberkellner können es nicht sein. Wo auch immer sie sich verbergen, laut dem wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung verdienen diese in Westberlin zwischen 2.047 und 2.243 Euro im Monat. Sind es die Bügler (1.338 Euro im Westen, 1.211 Euro im Osten) oder die Gärtner, Floristinnen, Fleischer oder Backwarenverkäuferinnen, die alle ähnlich wenig verdienen? Oder die Ostberliner Friseurinnen, die zwischen 600 und 700 Euro verdienen?

Das Einkommen von Freiberuflern werden in der Statistik nicht aufgeführt. Berücksichtigt sind nur Berufe, in denen Tarifverträge die Bezahlung regeln. Und in diesem Bereich ist es dann tatsächlich nur der gehobene öffentliche Dienst, der ein krisensicheres Einkommen garantiert: Als Regierender Bürgermeister (12.200 Euro), Senator (10.900 Euro) oder als Bezirksbürgermeister (6.900 Euro).

Aber noch eine Frage drängt sich auf: Seit Jahren wird auf den Kulturseiten der taz die Idee eine spezifisch Berliner Ökonomie beschrieben, gehegt und gepflegt. Ein Konzept, das auf einer Mischung aus Durchwursteln, Weitermachen und Scheitern als Chance beruht. Ist diese Kombination aus Selbstausbeutung und die Fähigkeit zum Krisenmanagement nun tatsächlich so dominant geworden, dass ausgerechnet der taz-Redakteur in der Mitte der Gesellschaft steht? Einer Mitte, die vielleicht neu ist – aber sicher nicht die Neue Mitte.

TOBIAS RAPP