: Die Blumen der Reichen
Farbfrisch leuchten die Blüten, die das Kostbarste und Exklusivste darstellen, was der Markt im 17. Jahrhundert hergab: Das Kupferstichkabinett Berlin zeigt Georg Flegels aquarellierte Blumenstudien
von STEPHANIE TASCH
In den Staatlichen Museen zu Berlin blühen die wahren Sensationen gern im Verborgenen. Noch im späten Sommer präsentiert das Kupferstichkabinett das reine Gartenglück, denn hinter dem spröden Ausstellungstitel „Georg Flegel (1566–1638) – Die Aquarelle“ verbirgt sich ein Konvolut von Naturstudien, die zweifellos das Schönste sind, was man im Augenblick in Berlin zu sehen bekommt.
Georg Flegel, 1566 im mährischen Olmütz geboren, lebte und arbeitete seit 1592/93 in Frankfurt am Main, wo er sich zum ersten spezialisierten Stillebenmaler in Deutschland entwickelte. Zum Thema Naturstudien fällt einem vermutlich als erstes Albrecht Dürers Rasenstück ein, das virtuos den Mikrokosmos Gras wie aus nächster Nähe gesehen vorführt. Flegels Studien sind von einer ähnlichen Präzision in der Naturnachahmung. Sie zeigen die Pflanzen annähernd lebensgroß vor neutralem Hintergrund und setzen die Schönheit der einzelnen Blume in Szene. Seine Farb- und Formkombinationen gehen über harmonische Ton-in-Ton-Sträuße weit hinaus; besonders kühn und elegant sind Flegels Zusammenstellungen des ganzen Rosa-Rot-Violett-Spektrums.
Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert befindet sich das Konvolut im Kupferstichkabinett. Es repräsentiert das gesamte erhaltene grafische Oeuvre des Malers. Von ursprünglich 110 Aquarellen sind noch 80 im Berliner Bestand erhalten; dreißig Arbeiten verbrannten unmittelbar nach Kriegsende im Flakbunker Friedrichshain. Warum? Weil man noch während des Krieges die Blätter in einer Ausstellung gezeigt hatte. Aus heutiger Sicht mutet das wie eine museumspädagogische Variante des „Durchhaltefilms“ an. Einige der verlorenen Aquarelle sind in Reproduktionen überliefert, und zum Glück überstand die Mehrheit der kostbaren Blätter den Krieg an einem anderen Auslagerungsort.
Was zunächst frappiert, ist der Erhaltungszustand der bis etwa 1630 entstandenen Studien: Farbfrisch leuchten die Blüten, die für Flegel und seine Zeitgenossen das Kostbarste, Exotischste und Exklusivste darstellten, was der Markt hergab. Nicht der Blumenmarkt um die Ecke, wohlverstanden. Blumen wie diese, Anemonen, Nelken, Iris, Lilien und vor allem Tulpen waren Gegenstand wissenschaftlicher Neugierde ebenso wie Statussymbole. Sie wurden aus dem Vorderen Orient, aus der Türkei oder dem Iran importiert und erfreuten und belehrten ihre Sammler, seien es nun humanistische Gelehrte, die botanische Studien trieben oder vermögende Kaufleute, aus deren Frankfurter Gärten möglicherweise die von Flegel gezeichneten und aquarellierten Pflanzen stammten. Der Katalog skizziert Flegels Umfeld, als die Messestadt Frankfurt ein Zentrum der Gartenkultur in allen ihren Facetten, des Handels mit Pflanzen, Zwiebeln und Samen, aber auch der botanischen Forschung und schließlich der Publikationen illustrierter botanischer Werke war. Zur „Tulipomanie“ steigerte sich die Nachfrage in Holland, wo eine bubble economy mit Optionsgeschäften auf Tulpenzwiebeln die Pflanzen einige Jahre zu Spekulationsobjekten machte, die für nicht wenige Investoren und Anleger in einem grandiosen Crash endete.
Flegels Blumenaquarelle hatten eine Funktion, auf die das Papier einen wichtigen Hinweis gibt: Inzwischen stockfleckig, gelblich und zum Teil mit deutlichen Gebrauchsspuren versehen – der Katalog spricht ein wenig pikiert von nicht ganz sauberen rechten Daumen –, waren die Studien keine autonomen, bildmäßigen Kompositionen für Sammler oder dienten als Vorlagen für ein Stichwerk. Sie waren vielmehr für den eigenen Gebrauch im Atelier bestimmt. Man kann Flegel, den man einen zweiten Dürer nannte, weil er die Natur so perfekt nachzuahmen verstand, geradezu bei der Arbeit beobachten. Seine handwerkliche Virtuosität ermöglicht zudem eine präzise botanische Bestimmung seiner Blumenporträts. Zu jahreszeitenunabhängigen Sträußen gebunden und in Prunkvasen präsentiert, kombinierte Flegel sie in seinen Blumenstilleben. Die grafischen Blätter bieten dagegen eine elegante visuelle Sparsamkeit, die heutigen Sehgewohnheiten sehr entgegenkommt: zwei geflammte Tulpen, ein Zweig schwarze Johannisbeeren, eine Schwertlilie neben einer Anemone, drei Gartennelken. Nichts lenkt ab, weder von der dargestellten Pflanze noch von ihrer Darstellung.
Bei all der Pracht fragt man sich allerdings, warum in ganz Berlin und Brandenburg kein Gärtner oder Florist aufzutreiben war, der Flegels hinreißenden Aquarellen die eine oder andere lebende Blume mäzenatisch an die Seite hätte stellen können. Stattdessen erwecken die botanisch sicherlich sehr ehrenvollen Trockenexemplare in Vitrinen, die man den Exponaten beigestellt hat, den Eindruck, man habe der Dürre hinterrücks doch die Tür geöffnet.
Bis 9. 11. im Kupferstichkabinett Berlin. Der Katalog mit vollständig bebildertem Werkverzeichnis der Aquarelle (Prestel Verlag) kostet 29,90 €