: On the Road Again
Der Flaneur ein potenzieller Vergewaltiger? In einer Gruppenausstellung im Pfefferberg zeigen junge Künstler mit Installationen, Fotos und Videos die Straße als Weg zum Glück, gefahrvollen Raum und nicht zuletzt als politischen Ort
Eine Coladose mit einer versteckten Kamera gab der südafrikanische Künstler Christian Nerf Obdachlosen mit auf den Weg, um die Reaktionen der angebettelten Autofahrer fotografisch festzuhalten. Das Ergebnis sind böse und verschreckte Gesichter, die an den Außenwänden des Projektraums Engler & Piper im Haus 4 des Pfefferbergs befestigt sind.
„On the Road Again …“ lautet der Titel der von Spunk Seipel kuratierten Ausstellung, die noch bis zum 3. Oktober Videos, Installationen, Fotografien und Zeichnungen junger Künstler zeigt. Ganz unterschiedliche Aspekte des Lebens auf der Straße wie Obdachlosigkeit, Tourismus und das Leben des modernen Flaneurs kommen hier zueinander. Über eine Treppe steigt der Betrachter auf ein Podest und blickt durch Ferngläser nach Litauen oder Gerolstein.
Christian Hasuchas Arbeit „Hier und dort, einst und jetzt“ verknüpft Raum und Zeit miteinander. Auf den Tafeln ist die jeweilige zeitliche und räumliche Entfernung vom Berliner Standort zu den dreidimensionalen Bildern abzulesen. Die Anordnung war mit veränderten Koordinaten bereits bei der Baltikum Biennale in Finnland und in der Artothek Köln zu sehen. Die Sehnsucht nach einem fahrenden Leben wird durch den Blick in die Ferne ausgelöst und gleichzeitig das Bewusstsein von der eigenen Distanz vergegenwärtigt.
Entgegen der Tradition des Künstlers und Literaten, der seine Inspiration und sein Material durch das Flanieren in den Straßen bezieht, gibt der Leipziger Manfred Reuter kaum etwas preis von seinen Berlin-Spaziergängen. Von Mai bis August lief der Künstler über 2.400 km durch die Straßen und notierte Tag, zurückgelegte Strecke und benötigte Zeit. Die Umrisse seines langen Marsches hat er auf Papier gezeichnet, daneben liegt der Stadtplan von Berlin, er ist fast vollständig abgearbeitet. Form und Statistik ohne Inhalt, ist das reduktionistische Ergebnis seines langen Marsches.
Die Wiener Künstlerin Barbara Sturm bringt den touristischen Aspekt von „On the Road Again“ in die Ausstellung ein. Sie sammelte und digitalisierte für ein Video die Urlaubsdias ihrer Großmutter Heinrike Sturm, die in den 60er- und 70er-Jahren rund um die Welt reiste und doch auf der Suche nach fremden Kulturen immer nur in Klischeebildern hängen blieb.
Zwölf Künstler und Künstlerinnen hat der junge Kurator Spunk Seipel ausgewählt, die er während eines längeren Auslandsaufenthaltes in Südafrika und Österreich kennen gelernt oder während seiner Zeit als Galerist in Berlin entdeckt hat. Die Begegnung zwischen Arm und Reich, die Angst vor Kriminalität und das Zusammenwachsen von Ost- und Westeuropa sind einige der Aspekte, die er durch die Auswahl der Arbeiten betonen will: „Die Straße ist ein öffentlicher Raum, auf dem wir einen großen Teil unseres Lebens verbringen“ sagt er. „Ohne die Straße ist keine Kommunikation, kein Warenaustausch möglich. Die Straße wird mystifiziert im Positiven wie im Negativen. Die Straße ist der Weg zum Glück und der Angstraum. Die Straße ist ein politischer Ort.“
Ein Video befindet sich noch auf dem Postweg von Kapstadt nach Berlin und wird nach Eintreffen zusätzlich in die Ausstellung integriert werden. Es wird die Straße als beängstigenden Ort jenseits der geschützten Sphäre der eigenen vier Wände zeigen. Mathew Hindley stattete verschiedene Menschen mit Kameras aus, die auf Stress reagieren und sich nur in diesen Situationen einschalten: Das Fahrrad ist geklaut worden, ein Auto überholt einen Fahrradfahrer, eine Frau fühlt sich nachts durch einen Passanten bedroht.
Durch die Zusammenstellung der Arbeiten entsteht ein sehr facettenreiches Bild der Straße. Reise, Obdachlosigkeit, gefahrvoller Raum gehören zu den Interpretationen, die die Künstler mit ihren Arbeiten liefern, wobei vor allem die südafrikanischen Arbeiten beeindrucken: Sie zeichnen ein für europäische Verhältnisse ungewöhnlich bedrohliches und gewalttätiges Bild der Straße als (a-)sozialer Raum. SILKE GALLA
Zur Finissage am 3. Oktober erscheint ein Dokumentationskatalog. Engler & Piper Projekte, Pfefferberg Haus 4, Christinenstraße 18/19, Mitte, Di.–Sa. 13–20 Uhr