GRÜNE: WARUM ANGELIKA BEER FÜR CLAUDIA ROTH PLATZ MACHEN SOLLTE
: Schwache Position, schneller Abgang

Es wirkt paradox: Noch nie standen die Grünen so gut da wie im Moment. Glänzende Umfrageergebnisse im Bund, Zugewinn in Bayern. Trotzdem leistet sich die kleine Regierungspartei eine Führungsdiskussion. Mehrere PolitikerInnen haben just an dem für die Grünen schönen Wahlsonntag ausgesprochen, was bisher nur getuschelt wurde. Claudia Roth könnte wieder Parteichefin werden. Sie habe diesen Job doch früher schon sehr gut gemacht. Die das sagen, sind keine Hinterbänkler. NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn und Verbraucherschutzsstaatssekretär Matthias Berninger wissen genau, was sie mit ihrem Lob für Roth auslösen: Die bisher nur intern geführte Debatte um eine vorzeitige Ablösung der amtierenden Chefin Angelika Beer wird zum öffentlichen Thema.

Berninger und Höhn würden diese Diskussion nicht anfüttern, wenn sie nicht wüssten, dass sich viele Grüne einen Wechsel an der Spitze wünschen. Und zwar möglichst schon auf dem Parteitag im November. Der Unmut über die amtierende Chefin Angelika Beer ist keine Erfindung böser Journalisten – auch wenn manche Berichte unfair waren, weil sie Privates und Politisches vermischten. Der Druck, der auf ihr lastet, ist auch nicht das Ergebnis von Intrigen. Beer hat sich ihre mitleiderregend schwache Position selbst zuzuschreiben.

Die Grünen-Chefin hat so gut wie alles falsch gemacht, was man als grüne Parteichefin falsch machen kann. Es ist ihr nie gelungen, Themen zu besetzen, die über ihr Fachgebiet Verteidigungspolitik hinausgehen. Und selbst da wird sie nicht mehr ernst genommen. Als Beer kürzlich eine „Prüfung“ eines Bundeswehreinsatzes im Irak anregte, musste ihr Chefkollege Reinhard Bütikofer sofort dementieren. Peinlich.

Noch peinlicher: Bei anderen Themen wirkt Beer oft schlecht informiert und überfordert. Dabei müsste eine grüne Chefin Generalistin sein und Debatten anstoßen. Die Freiheit dazu hat sie – weil sie nicht so stark ins Regierungsgeschäft eingebunden ist wie die Abgeordneten und die Minister. Diesen Spielraum nutzt Beer kaum. Wirklich zum Verhängnis wird ihr aber, dass sie die Erwartungen nicht erfüllen kann, die vor allem der linke Flügel stellt. Gerade in Zeiten brutaler Reformen müsste die Grünen-Chefin die Seele der Partei ansprechen. Bürgerrechte propagieren. Menschenrechte thematisieren. Weil Beer all das nicht kann, weckt sie die Sehnsucht nach der „Mutter der Partei“ – und die heißt Roth. Beer würde sich selbst einen Gefallen tun, wenn sie das Trauerspiel beendet und noch vor dem Parteitag abtritt.

LUKAS WALLRAFF