: Migranten helfen Migranten
In einem Bielefelder Modellprojekt motivieren beruflich integrierte Ausländer weniger erfolgreiche Zuwanderer zur Ausbildungs- und Jobsuche. Die ehrenamtlichen Paten werden vorher geschult
AUS BIELEFELDUWE POLLMANN
Die 24-jährige Nermin war verzweifelt. Mit Mühe hatte sie das Fachabitur nachgeholt, Praktika über Praktika gemacht, aber keine Lehrstelle gefunden. Doch vor einigen Monaten traf sie zufällig Tülay Zengingül, die in einem Bielefelder Freiwilligen-Projekt Migranten bei Integrationsproblemen unterstützt. Zengingül, die hier geboren ist und Soziologie studiert, hörte von Nermin anfangs immer nur eins: „Es wird nicht mehr klappen. Ich werde keine Ausbildungsstelle kriegen. Es gibt genug 16 bis 17-Jährige, die bessere Voraussetzungen haben.“
Da die arbeitslose Kurdin einfach keine Zukunft mehr für sich sah, entschied sich Tülay Zengingül ihr als Patin zur Seite zu stehen. „Meine Arbeit bestand darin, sie zu motivieren und zu begleiten“, sagt die Studentin. Beide trafen sich regelmäßig, suchten gemeinsam Firmenadressen heraus und schrieben Bewerbungen. Zengingül, deren Familie auch aus Kurdistan kommt, baute Nermin seelisch wieder auf. Sie habe einfach jemanden gebraucht, der ihr Mut mache, „dass es nie zu spät ist“, sagt Zengingül. „Es war mir wichtig, dass Nermin sieht, ich bin auch Migrantin, ich hab‘s auch geschafft“. Die Mühe der Patin hat sich schließlich gelohnt: Nermin begann eine Lehre als Arzthelferin.
Das ist nur eine von vielen positiven Ergebnissen des Bielefelder Freiwilligen-Projektes „Migranten integrieren Migranten“. Die Idee dazu hatte vor zwei Jahren Cemalettin Özer, der in der ostwestfälischen Stadt ein Beratungs- und Bildungszentrum für Einwanderer aufgebaut hat. „In unseren Lehrgängen“, sagt der Bildungsunternehmer, „erzähle ich den Teilnehmern von meinem Lebensweg.“ Özer hat die Hauptschule abgeschlossen, eine Lehre gemacht, dann studiert und ist jetzt selbständig. „Da merken die Mädchen oder Jungs, die mit Hauptschulabschluss da sitzen: Es kann ja doch klappen. Es gibt ja doch welche, die es schaffen können“, sagt er.
Nach dem Motto „Vorbilder können motivieren“ suchte Özer deshalb erfolgreiche Ausländer und Aussiedler, die sich ehrenamtlich als Integrationshelfer zur Verfügung stellen. Und schnell fand er 50 Studenten, Beschäftigte und Unternehmer. Natürlich weiß auch er, dass Migranten seit langem Landsleute unterstützen: „Aber das geschieht nicht immer so professionell.“ Darum wurden die Integrationshelfer zunächst in Workshops fortgebildet, „um ihnen das Handwerkszeug mitzugeben, wie sie besser beraten können.“
Die Fortbildungen fanden im im Bildungszentrum vom Özer, bei der Bielefelder Arbeitsagentur und der ArbeiterwohlfahrtBielefeld und Herford statt. Danach gingen die Integrationshelfer in ihrer Freizeit los, suchten Kontakte in Ausländervereinen, Schulen und Berufsschulen. Mit besonderem Erstaunen nahmen die Paten dabei die fehlenden Kenntnisse von jungen Mädchen wahr, sagt Yasemin Sönmez, die sich vor allem um den weiblichen Nachwuchs aus Zuwandererfamilien kümmerte. „Wir haben mit Erschrecken festgestellt, wie wenig die Mädchen, obwohl sie in der dritten Generation hier leben, über unterschiedliche Berufsbilder informiert sind.“
Integrationshelfer Senal Keser, Germanistikstudent, schüttelt vor allem den Kopf über die fehlenden Deutschkenntnisse, „die natürlich nötig werden, wenn man eine Bewerbung schreibt oder sich irgendwo vorstellt“. Er hat deshalb nicht nur bei Bewerbungen oder beim Gang zu Ämtern geholfen, sondern auch Deutschkurse vermittelt. Viele tausend Stunden haben ehrenamtliche Integrationshelfer und Paten dafür geopfert.
Rund 400 Migranten in und um Bielefeld haben dadurch Arbeit, Ausbildung oder Lehrgänge erhalten. Begeistert von dieser Initiative sind die Bielefelder Arbeitsagentur und die Bertelsmann-Stiftung. „Ein Projekt mit großer Wirkung“, so Anna Renkamp von der Gütersloher Stiftung, die die Fortbildung der Integrationshelfer mit EU- und NRW-Geldern unterstützt hat. Und das soll auch weiterhin geschehen. Außerdem wolle man die Idee der Professionalisierung von ehrenamtlichen Paten nun als Modell in andere Regionen tragen.