: Wirtschaftsethik
Vom Einhauchen einer schönen Seele
von GABRIELE GOETTLE
Wirtschaftsethik gehört zu der Sorte von Erscheinungen, wie auch die Staatsraison und die englische Küche, die in der Form eines Geheimnisses auftreten, weil sie geheim halten müssen, dass sie gar nicht existieren. Niklas Luhmann
Annette Kleinfeld, Dr. phil., selbst. Unternehmensberaterin i. Hamburg f. d. Bereiche Corporate Ethics, Integritäts- u. Wertemanagement. Von 1969–81 Besuch d. Europäischen Schule Karlsruhe. 1981 Abitur u. Studium d. Philosophie, Germanistik, Mediävistik u. Theaterwissenschaften a. d. TU-Karlsruhe u. d. Ludwig-Maximilian-Universität München. 1988 Magister („Dichter und Narren im Werk Friedrich Nietzsches“). 1995–1998 Assist. a. Forsch.-Institut f. Philosophie. Aufbau des Forschungsschwerpunktes „Wirtschafts- und Unternehmensethik“, gemeinsam m. d. Gründungsdirektor Prof. Peter Koslowski (Univ. Witten-Herdecke). Betreuung d. institutseigenen „Centrums für Ethische Ökonomie und Wirtschaftskultur“. 1996 Dissertation („Persona Oeconomica. Personalität als Ansatz der Unternehmensethik“) a. d. Ludwig-Maximilian-Univers. München. Bereits während d. Studiums Arbeit i. versch. Firmen, u. a. i. Pesonalmanagement u. Unternehmensberatung. Von 1993–2001 Gründungsmitglied i. Vorstand d. Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik. Seit 1998 Partnerin i. d. Hamburger Unternehmensberatung Bickmann & Collegen. Seit 2000 Generalsekretärin u. Vorstandsmitglied d. European Business Ethics Network (EBEN). Seit 2002 Mitglied i. Aufsichtsrat d. Business Keeper AG Potsdam. Mitglied i. Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer (AEU). Mitglied i. Expertenrat u. Zertifizierungsausschuss f. d. Standard WWErtemanagement d. Zentrums f. Wirtschaftsethik. Referentin b. div. Veranstalt. u. Podiumsgesprächen, Lehrtätigkeit a. Universitäten i. Rahmen spezieller Master-Studiengänge, Verfasserin zahlreicher Beiträge v. in- u. ausländ. Zeitungen u. Zeitschriften. Juli 2004 Gründung eines eigenen Unternehmens. Annette Kleinfeld wurde a. 7.2.1963 i. Karlsruhe geboren, ist Tochter eines Dipl.-Chemikers u. e. Dolmetscherin, sie ist unverheiratet und hat keine Kinder.
Es vergeht kein Tag, ohne dass die Medien von Wirtschaftskriminalität berichten, von Bilanzfälschungen, Preisabsprachen, Schmiergeldern an Beamte oder Politiker, Bestechung bei der Auftragsvergabe, von dieser oder jener Spielart der Korruption. Auf einer vergleichenden Korruptionsskala belegt Deutschland Rang 6 von 10 Plätzen. Bereits vor Jahren wurde es von der OECD als das korrupteste Land bezeichnet, was die Größenordnung und Perfektion der Korruptionsfälle angeht. Darüber hinaus ist das Problem natürlich längst kein nationales mehr, denn nicht nur die Wirtschaft, das Kapital und die Märkte, auch die Korruption wurde globalisiert. Ab und zu fallen Tropfen auf diesen heißen Stein. 1999 wurde auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos auf Initiative von Kofi Annan der GLOBAL COMPACT zwischen Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen beschlossen (zum Schutz der Menschenrechte, für Arbeits- und Umweltschutz). Erste Mitglieder waren übrigens Nike, BASF, DaimlerChrysler. Inzwischen haben sich hunderte von Unternehmen und Organisationen zu den 9 Prinzipien verpflichtet, und damit zu so genannt verantwortungsbewussten Wachstumsstrategien. Es gibt einen geradezu missionarisch wirkenden Eifer zu ethischer Selbstverpflichtung, seit erkannt wurde, dass das Bekenntnis zur Tugend geschäftspolitisch sinnvoll ist. Strategische Philanthropie zahlt sich aus auf Markt und Börse. Von der OECD über Weltbank, Regierungsorganisationen bis hin zu den sich selbst verpflichtenden internationalen Konzernen, scheinen alle an einem Strang zu ziehen, um dem apokalyptischen Kapitalismus eine schöne Seele einzuhauchen. Nichtregierungsorganisationen versuchen die Einhaltung der Versprechen zu überprüfen, machen weltweit Kampagnen, listen die Verstöße auf. Die Erfolge sind bescheiden, zumal es keine eindrucksvollen Sanktionen gibt, außer dem Markteinbruch.
Der griechische Geschichtsschreiber Herodot berichtet um 440 v. Chr. vom Fall eines korrupten persischen Richters. Dieser Richter, SISAMNES, wurde nicht nur zum Tode verurteilt für seine Bestechlichkeit, sondern auch zum Schinden. Man zog ihm die Haut ab, legte sie über den Richterstuhl und ließ seinen Sohn als neuen Richter darauf Platz nehmen.
Bis Sanktionen gefunden werden, die unseren ethischen Werten und Gesetzen entsprechen, widmen sich alle der Vorbeugung. Die Business Keeper, mit einem raffiniert konstruierten computergestützten Monitoring System zur Meldung wirtschaftskrimineller und gegen die ethischen Normen verstoßender Verhaltensweisen, und Frau Dr. Kleinfeld, mit ihrem wertkonservativ begründeten umfassenden Programm für Unternehmensethik.
Die Business Keeper residieren im Erdgeschoss eines Neubaus in Potsdam-Babelsberg. Hier in der Virchowstraße erinnert kaum noch etwas an die DDR, die einst heruntergekommenen Villen sind saniert und nun eine gute Adresse für Firmen, Parteien und Institute. Wir und unser großer, schöner, weißer Hund Gaston, werden in ein Wartezimmer mit Blick über den Griebnitzsee gebeten. Herr Tur, der Firmeninhaber, begrüßt uns herzlich. Er ist deutsch-türkischer Herkunft, 1964 geboren, und hat sich vom Maschinenschlosser bei Opel zum Wirtschaftsinformatiker und Manager bei General Motors hochgearbeitet, und nun zum selbstständigen Unternehmer, mit einer genialen und in der Praxis erprobten Geschäftsidee: seinem anonymen Internet-Briefkasten für Whistleblower. Wir plaudern ein Weilchen, dann übergibt er uns an Frau Dr. Kleinfeld, die uns alles erzählen wird; nebenan, vor einem wandgroßen Gemälde, das vermutlich die Ankunft der Conquista auf einem Schiff zeigt (das Gemälde ist mitgemietet). Wir bitten sie, zuerst ein wenig von sich zu berichten.
„Ich bin im Hauptfach Philosophin, aber ich habe immer nach der inhaltlichen Klammer gesucht, zwischen der Arbeit in der Wirtschaft und meinen Geisteswissenschaften, denn es hat ja eine Menge miteinander zu tun. Das, was man im geisteswissenschaftlichen Studium lernt, ist durchaus etwas, was Unternehmen und in der Wirtschaft fehlt. Und so bin ich damals, Mitte der 80er-Jahre, auf das Thema Wirtschaftsethik gekommen. Damals kam das Thema grade rüber zu uns aus den Vereinigten Staaten – Business Ethics –, das braucht ja immer diese Schleife. Aber im Grunde haben wir hier ja in Europa schon eine eigene und lange Tradition gehabt, sei’s in der katholischen Soziallehre oder auch bei den Ökonomen im 19. Jhdt. Ich bin dann, im Rahmen meiner Tätigkeit am Institut in Hannover – das war ja ein Institut für angewandte Ethik, also auch Medizin- und Bioethik neben der Wirtschaftsethik – in Berührung gekommen mit dem „Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik“, bzw. mit EBEN, dem European Business Ethics Network. Diese Organisation ist 1987 gegründet worden, mit dem Ziel, die amerikanische Business-Ethics-Bewegung hierher nach Europa zu tragen und auch umzuformen für europäische Verhältnisse. Und aus ihr ging dann 1993 das „Deutsche Netzwerk Wirtschaftsethik“ als Tochter hervor. Und ich bin damals, als einzige Frau und jüngstes Mitglied, in den Vorstand gewählt worden, also als Gründungsmitglied, und war dann 8 Jahre in diesem Vorstand tätig. Mittlerweile ist es ja das größte Netzwerk innerhalb von EBEN.
Ich erzähle das deshalb auch, weil ich darüber den Herrn Tur kennen gelernt habe, er war auch da, er hat seine Diplomarbeit geschrieben, auch zum Thema Wirtschaftsethik, und war Mitglied. Und ich bin dort auch einem anderen Mitglied begegnet, dem Roland Bickmann, der damals Regionalforen in Hamburg gegründet hat. Er war seit 1986 Gründer und Inhaber der Bickmann-&-Collegen-Unternehmensberatung und arbeitete mit dem Schwerpunkt Corporate Identity und Corporate Culture. Und er fragte mich damals: Haben Sie sich schon mal überlegt, sich selbstständig zu machen, mit diesem Themenschwerpunkt Wertemanagement-Ethik, das würde doch sehr gut passen zu unserem Thema?! Ich war ja grade am Überlegen und hatte die Option, mich anstellen zu lassen bei großen Beratungsgesellschaften, die sich allmählich ja auch Mitte der 90er-Jahre mit diesen Themen befassten, hatte auch ein Angebot. Aber dann habe ich mich entschlossen, und bin als Partnerin bzw. Kollegin, eingetreten bei Herrn Bickmann. Ja, und das mache ich jetzt seit 1998 … aber momentan ist alles etwas…“, ihre sehr schnelle Sprechweise bricht ab für einen Moment, dann fährt sie etwas heiser fort, „Herr Bickmann ist am 17. Mai verstorben, an einem Herzinfarkt. Er war 48 Jahre alt. Und nun habe ich mich entschieden, das Unternehmen weiterzuführen. Es soll unter meinem Namen weiterlaufen, aber ich werde sicher die Inhalte weiterführen. Also das sind momentan meine Probleme.
Als ich schon bei Bickmann & Collegen war, ist damals der Herr Tur auf mich zugekommen und sagte: Ich entwickle jetzt ein System, wo man frühzeitig normabweichendes, oder nichtethisches, nichtintegres Verhalten anzeigen kann, und zwar OHNE dass die Anzeigenden hinterher irgendwelche Repressalien befürchten müssen. Das System wahrt die volle Anonymität. Und da sagte ich, das finde ich hoch spannend, da würde ich auf jeden Fall Sie auch gern unterstützen und mitarbeiten. Herr Tur hat ja in seiner Zeit in der Großindustrie bei General Motors – ich weiß nicht, ob man das sagen darf – immer wieder Fälle von betrügerischem, korruptivem und abweichendem Verhalten erlebt. Es gab wohl ein, zwei Schlüsselerlebnisse, auch was die Arbeitsbedingungen bei Zulieferern betraf, die haben ihn sehr nachdenklich gemacht. Und er ist dann ausgeschieden und hat sich überlegt, was machen eigentlich Menschen, wenn sie das jetzt irgendwo an einen Chef weiterleiten, oder an den Vorstand oder Aufsichtsrat, wenn dann öffentlich gemacht wird, wer’s angezeigt hat, wenn dann Repressalien drohen, Mobbing oder gar Morddrohungen – man kennt so was ja aus den Vereinigten Staaten –, was machen diese Menschen? Die werden lieber schweigen. Was fehlt, dachte Herr Tur, ist eben ein System oder Verfahren – was aber besser sein muss als eine Telefon-Hotline, wie sie ja auch General Motors damals geschaltet hatte –, das aber absolute Vertraulichkeit zusichern kann, und die Anonymität des Hinweisgebers 100-prozentig sicherstellt. Das war die Motivation für Herrn Tur, und er ist ja von Hause aus Wirtschaftsinformatiker, also lag es nahe, sich der neuesten Technologie zu bedienen. Und er hat es geschafft, hat das Problem gelöst. Und begleitend dazu gibt’s eben mein ‚Ethikprogramm‘. Aber eben nicht in Form einer Hochglanzbroschüre, zu der man dann sagen kann: gelesen, gelacht, gelocht! Nein, das bringt nichts. Der wesentliche Schritt ist Beratung und Personal- und Managertraining. Denn wenn ein Unternehmen sein Leitbild aus dem Fenster hängt und dann aber ein Problem hat und in die Öffentlichkeit kommt, dann ist der Imageschaden viel größer, als wenn da gar kein Leitbild wäre.
Es gibt Unternehmen, denen hängt so ein Verstoß lange nach. Einer meiner Kunden ist die GTZ – das darf ich sagen, auch wenn es heikel ist –, das ist die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, eine im Bundesbesitz befindliche gemeinnützige Gesellschaft, die besonders in der Entwicklungsarbeit sozusagen ein verlängerter Arm der Industrie ist, die bei der Unterstützung von Ländern, die noch nicht so weit sind, ein besonders hohes Ethos an den Tag legen muss. Und die hatte eben vor ein paar Jahren diesen riesigen Korruptionsfall, und damit ist sie bis heute geschlagen. Und das ist eben auch so ein wichtiger Punkt, an dem das System von Herrn Tur ansetzt, dass es nämlich sehr früh normabweichendes Verhalten anzeigen kann, weil eben der Hinweisgeber vollkommen anonym bleiben kann. Und da komme ich gleich zu einem weiteren wichtigen Punkt, nämlich die Frage der Kommunikation, wie bringe ich ein solches System in ein Unternehmen rein. Grade in unserer deutschen Kultur ist das schwierig, wo ja Denunziation ein sehr heikles Thema ist – auch ganz besonders natürlich im Osten, in Ostdeutschland. Es geht also zuerst einmal darum, den Menschen das nahe zu bringen, dass dahinter eine positive Motivation steht, dass die Aufdeckung für den Betrieb und die integren Mitarbeiter positiv ist. Und dann braucht es eben den zweiten und dritten Schritt, nämlich die Umsetzung, und für diese ganze Seite bin ich zuständig. Herr Tur ist da übrigens ganz rigoros, er stellt sein System nur Unternehmen mit Wertemanagement zur Verfügung, die sich um unternehmens- und wirtschaftsethische Grundlagen kümmern, ohne die das System ja gar nicht plausibel wäre.
Es muss also keiner mehr tatenlos zusehen. Das ganze funktioniert dann so – ich hoffe, ich stelle das in aller Kürze deutlich dar: Der Hinweisgeber geht auf die Homepage: www.business-keeper.de, da wird er dann über jeden Schritt erst mal genau informiert, da kann er dann seine Meldung machen und seinen anonymen Postkasten einrichten, denn, im Unterschied zu allen anderen anonymen Hinweissystemen, können Sie hier einen Dialog führen, wenn Sie das möchten. Und die Meldung, wie auch die Verbindung, von der sie abgegeben wurde, das ist eben alles in einem superspezialisierten und patentierten Verschlüsselungsverfahren geschützt. Der Server steht in einem Sicherheitstrakt, in dem auch z. B. die Deutsche Bank ihre Daten schützt. Entschlüsselt werden kann die Meldung dann nur von einem Hinweisbearbeiter, der einen Zugangscode bekommt, und so die Meldung lesen, aber nicht zurückverfolgen kann. Und es ist auch dafür gesorgt, dass der Bearbeiter nicht einfach die Meldung verschwinden lassen kann, da gibt’s das Vieraugenprinzip, ein Hinweis kann also nicht gelöscht werden, bevor nicht ein Zweiter oder Dritter das auch gesehen hat. Also das System ist wirklich ausgefeilt; und sicherer als“, sie lacht, „wenn Sie Online-Banking machen. Der Herr Tur hat da sogar russische Hacker beauftragt … es war nicht zu knacken. Zur Anwendung kommt dieses System einerseits in Unternehmen, die ihren Mitarbeitern, Zulieferern und Kunden so die Möglichkeit geben, wenn denen irgendwas auffällt, anonym Meldung zu machen. Und dazu müssen dann natürlich die Führungskräfte und Multiplikatoren geschult werden, damit sie die Hinweise und Fragen entsprechend bearbeiten können. Aber auch in Behörden kommt es zur Anwendung. Es lief jetzt grade ein großes Pilotprojekt im Landeskriminalamt Niedersachsen, im Kampf gegen Wirtschaftskriminalität. Dazu wurde das System von Herrn Tur ein wenig abgewandelt – es ist ja auf die Wirtschaft zugeschnitten – und es wurde ein voller Erfolg. Seit Oktober 2003 sind wohl über 300 Meldungen eingelaufen, zwei Drittel davon waren strafrechtlich relevant. Das LKA hatte vorher für solche Meldungen eine normale E-Mail-Adresse, da sind in zwei Jahren drei ganze Meldungen eingegangen! Und weil das anonyme System so erfolgreich ist, wollen jetzt auch die anderen Landeskriminalämter nachziehen und eventuell auch das Bundeskriminalamt, als zentrale Meldestelle, das wird in den Ämtern noch überlegt.
Also das System von Business Keeper hat übers LKA sogar Schlagzeilen gemacht im Zusammenhang mit der Razzia im Wirtschaftsministerium, wo es um Korruption und Subventionsbetrug in Millionenhöhe ging, das war spektakulär. Es wurde in den Medien umfangreich berichtet, auch in Bezug auf das Besondere an diesem Hinweisgebersystem. Das war natürlich für die Business Keeper sehr erfreulich. Erfreulich und überraschend war auch, dass die befürchtete Denunziantenflut ausgeblieben ist. Das ist die Erfahrung, die das LKA gemacht hat. Und über 70 Prozent der Hinweisgeber hatten sich ein Herz gefasst und den freiwilligen anonymen Postkasten eingerichtet, denn oft ist es sehr gut, wenn der Bearbeiter noch mal Fakten nachfragen kann, die er braucht, um ein Verfahren einzuleiten. Das System erfüllt auch in Behörden einen wichtigen Zweck, es sind ja Unsummen, die jährlich durch korrupte Beamte verloren gehen, von der Wirtschaft ganz zu schweigen.
Deshalb ist es auch nicht mehr so, dass die Unternehmen null Sensibilität haben, wenn’s um Früherkennung geht und Unternehmensethik. Sonst wäre ich ja arbeitslos! Es wächst kontinuierlich, das Interesse an diesen ‚weichen Themen‘. Selbst der härteste Kontroller im Unternehmen wird zugänglich, angesichts der Zahlen und Statistiken. Und die Firmen, die international tätig sind, Kontakte mit Amerika haben, die müssen schon deshalb eine Unternehmenskultur – also Corporate Culture – sich erarbeiten, weil das in Amerika einfach Standard ist. Man findet im Grunde dort gar kein Unternehmen mehr, das nicht einen Code of Conduct bzw. Code of Ethics hat. Und grade auch Themen wie sexual harassment, also sexuelle Belästigung, oder auch die Diskriminierung von Minderheiten, das ist ein Riesenthema in den Vereinigten Staaten. Das ist bei uns ja noch nicht so der Fall. Viele Unternehmen wollen zwar das System, die sagen aber, also zum Thema Sexualität oder auch Mobbing, da wollen wir lieber keine Hinweise, wenn wir da die Tür öffnen, dann bekommen wir so viele Probleme, wir können das auch gar nicht überprüfen. Andere Firmen, die sagen, gut, wir lassen das zu, wir wollen aber nur die quantitative Erfassung, auch bei Mobbing. Dem Einzelfall da nun nachzugehen, das ist wirklich zu schwierig. Aber es gibt auch Firmen, die sagen, wir akzeptieren beides, lassen es nicht ausfiltern vom System. Wir wollen die ganze Bandbreite nutzen: das geltende Recht, plus das was in unseren Leitlinien drinsteht. Wir wollen überprüfen können, ob das eingehalten wird.
Aber das ist es, was ich schon eingangs sagte, das finde ich pervers, dass wir immer die Amis brauchen, die uns irgendso ein Thema über den Teich schmeißen, wie Business Ethics. Wir haben ja selber unsere lange Tradition grade im Mittelstand, in unserem berühmten deutschen Mittelstand, der ja einmalig ist auf der Welt. Es gibt da eine Fülle von mittelständischen Unternehmen mit einem ganz spezifischen, althergebrachten Unternehmensethos. Das fing eigentlich bei den Siemens an, bei den Boschs, bei den Krupps, bei den Bertelsmännern, also aus den Familienunternehmen heraus gibt’s da einfach bestimmte Werte, denen sich die Unternehmen z. T. bis zum heutigen Tag irgendwo noch verpflichtet fühlen. Auf diese Werte müssen wir uns wieder besinnen, sie niederschreiben und zu einer Art Grundgesetz unserer Unternehmen machen …“
Wir wenden ein, dass die umstandslose Suspension dieser Werte im Faschismus bzw. ihre Indienstnahme, nicht gerade eine Empfehlung ist. Frau Dr. Kleinfeld ist für einen Moment konsterniert, sie pflichtet zögernd bei und fährt dann fort: „Also da gibt es wirklich eine gewachsene Sensibilität in der jüngeren Generation, auch dafür. Und auch für Integrität, also da, wo die eigentlich heute wirklich noch glaubwürdig gelebt wird, das ist im Moment vor allem beim Mittelstand, weil die ja langfristig denken, von Natur aus. Und deshalb sind die auch, ich sag mal, meine Lieblingskunden. Bei den Großkonzernen ist es natürlich sehr viel schwieriger, und auch was die Wahrnehmung von außen betrifft, also die Tatsache, dass sie begrenzt Steuern bezahlen und jetzt aktuell, dass sie mit Drohungen … da wollen wir uns nicht unterhalten, über dieses Thema, denn wenn sie halt sagen, wir müssen schlanker werden, wir müssen flexibler sein, dann ist das ja nicht immer alles per se unethisch! Unethisch ist es, wenn ich meinen Kunden nicht die Wahrheit sage über meine Produkte, wenn ich so was wie Mobbing permanent zulasse, wenn der gute Vertriebsmann ungestraft sexual harassment begehen darf, da sehe ich intern ein großes Problem, aber daran kann ich arbeiten. Ich sage immer, wir unterhalten uns ja nicht über Ethik, sondern wir unterhalten uns über Wirtschaftsethik. Und es ist doch klar, dass die Unternehmen heute irgendwo auch in diesem Spannungsfeld stehen, wie kann ich einerseits am Markt erfolgreich sein und überleben – das betrifft auch die Mittelständler – und auf der anderen Seite eben nicht hie und da mal verschlanken oder restrukturieren. Das ist halt das Spannungsfeld bei den Unternehmen.“
Wir monieren den Begriff „verschlanken“, und Frau Dr. Kleinfeld sagt mit bitterem Lächeln: „Ja, ja, der dient natürlich zum Verschleiern, Sie haben recht. Das sind teilweise wirklich üble Euphemismen … Das ist mein persönliches Spannungsfeld, dass ich nach draußen, wenn ich von den Unternehmen ernst genommen werden will, dass ich dann auf die Terminologie einsteigen muss.
Das war auch schon das große Credo von meinem verstorbenen Partner, Herrn Bickmann, der auch ein sehr enger Freund von mir war, der sagte eben immer: Wir sind auch ein bisschen die Hofnarren. Und das stimmt. Als Hofnarren haben wir aber auch ein bisschen Narrenfreiheit gegenüber unseren Ansprechpartnern, und die sitzen ja in den Vorstandsetagen. Und wir haben denen eigentlich immer die ungeschminkte Wahrheit ins Gesicht gesagt, und wir haben es eigentlich nicht erlebt, dass sie uns rausgeschmissen haben. Sie haben andächtig zugehört. Denn es ist ja so, je größer der Konzern ist, desto weniger haben die Chefs noch Menschen um sich herum, die ihnen die Wahrheit sagen. Die werden vollkommen abgeschirmt, die werden hofiert, alles Unangenehme wird von ihnen ferngehalten. Ein gutes Beispiel ist der Josef Brauner, Chef der Telecom – gewesener, er ist nun auch weg, ist an der Mautsache gescheitert –, also er war früher bei Sony, da haben wir ihn schon beraten, damals. Und bei Sony sagte er wirklich: Also mir stinkt das! Ich habe keine Ahnung mehr, was an der Basis los ist. Und dann haben wir damals so ein Programm gemacht für ihn, etwas ganz Triviales eigentlich. Er musste ja ständig auch unterwegs sein, und immer, wenn er vom Unternehmen zum Flughafen gefahren wurde, dann sind da ein, zwei Mitarbeiter aus irgendeiner Abteilung mitgefahren – manchmal der Hausmeister –, und die hat er dann befragt, was so los ist, was ihnen auf der Seele brennt, was schief läuft in ihrem Bereich …“ Vom See her ertönt das klagende Tuten eines Dampfers, der vorbeifährt, unser Hund hebt den Kopf und lässt ihn dann wieder sinken.
Wir wenden ein, dass sicherlich viele Unternehmer sehr genau wissen, was „schief läuft“ in ihrem Bereich, z. B. in der Bauindustrie. Frau Dr. Kleinfeld sagt feurig: „Grade bei der Bauindustrie gibt es enorme Lernprozesse! Nach vielen Skandalen haben sich z. B., ich glaube 45 Unternehmen der bayerischen Bauindustrie zusammengeschlossen in so einem Ethik-Management-System, also das beinhaltet so die üblichen Standards: Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Fairness, Integrität, Transparenz usw. und natürlich auch die soziale und ökologische Verantwortung. Das hat für die Unternehmen nicht nur den Vorteil, dass die Branche mal rauskommt aus den Schlagzeilen, sondern auch, dass sie sich nicht untereinander diese unredliche Konkurrenz machen. Wenn alle ab sofort keine Schmiergelder mehr zahlen, dann hat jeder was davon. Ausgehend von diesem Modell, haben wir – mit wir meine ich das Deutsche Netzwerk Wirtschaftsethik, wo ich ja auch Mitglied des Expertenrates bin – so einen Standard entwickelt, das nennt sich: ‚Wertemanagement ZFW‘. Und inzwischen ist es so, dass der Gesamtverband der Bauwirtschaft in Deutschland jetzt mit diesem Standard arbeiten will. In der öffentlichen Wahrnehmung aber hat das Image der Bauwirtschaft natürlich gelitten, das Image der Wirtschaft insgesamt ist ja sehr schlecht. Da wird nicht differenziert, es heißt ‚die Wirtschaft ist Scheiße‘, sie ‚zieht Menschen über den Tisch‘. Da werden alle Unternehmen über einen Kamm geschoren. Und dagegen wehren sich eben viele und sagen, wir müssen gucken, dass wir wieder eine integre Wirtschaftskultur gestaltet bekommen. Und da tut sich viel.
Nehmen Sie die großen Markenunternehmen der letzten Jahre, Shell, ganz früher auch Nestlé, dann Nike. Die haben ja ganz massive Schäden gehabt durch Proteste und Boykottaufrufe. Und da haben Sie ein wirklich wirkungsvolles Druckmittel: Die kritische und aufmerksame Verbrauchergesellschaft, die sich ihrer Konsumentensouveränität bewusst ist, die kann durch Verzicht und Boykott Unternehmen zwingen, unethisches Verhalten einzustellen oder Produkte vom Markt zu nehmen. Aber man muss eben auch einfach wissen, dass viele Unternehmen es gar nicht erst so weit kommen lassen. Also Puma ist so ein Beispiel von einem Unternehmen, was sich als Globalplayer wirklich und ganz ernsthaft zu seiner sozialen Verantwortung bekennt – und eben nicht nur bekennt, sondern das auch umsetzt, und zwar Stück für Stück! Die haben eine eigene Abteilung, die nichts anderes macht als darüber nachzudenken, wie im jeweiligen Produktionsland unternehmerisch gehandelt werden kann, ohne Schaden anzurichten. Da werden ethische Richtlinien praktiziert.
Und Puma ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass man damit eben auch Geld verdienen kann. Schauen Sie sich die Umsatzentwicklung an! Und hier, würde ich sagen, hat auch die Konsumentensouveränität durchgeschlagen. Nike war ja das Negativbeispiel, mit dem Skandal um die Kinderarbeit, die waren groß in Verruf. Da haben Adidas und Puma gesagt, wir können genau darüber einen Wettbewerbsvorteil erzielen. Ich kenne zufällig die Leute, die da hinter Puma stehen, die vertreten unbedingt dieses mittelständische Unternehmerethos, von dem ich sprach. Wir – das deutsche Netzwerk Wirtschaftsethik – haben denen einen Preis verliehen, und wenn wir einen Preis verleihen, dann haben wir das vorher auf Herz und Nieren überprüft! Also ich kann Ihnen versichern, das ist ernst und ehrlich und wirklich glaubhaft, was die da machen und sagen.
Aber es gibt eben immer wieder Leute, die nach dem Haar in der Suppe suchen. Oft sind es auch die NGOs, die Nichtregierungsorganisationen, die im Grunde Fronten aufbauen, und grade bei den NGOs ist die Wahrnehmung der Wirtschaft leider so undifferenziert, das erlebe ich oft bei Diskussionen. Man muss ja auch mal denen, die es wirklich ernst meinen und praktizieren, das auch mal so abnehmen und es vielleicht auch würdigen.“ Wir fragen, ob sie je mit Alternativbewegungen zusammengearbeitet hat. Sie verneint sanft und sagt: „Also ich bin eigentlich von Hause aus immer konservativ gewesen, wertkonservativ. Ich komme aus einem sehr christlichen Elternhaus – mütterlicherseits gibt’s eine starke christliche Prägung –, deshalb bin ich mit den Themen Ethik- und Wertvorstellungen schon groß geworden, natürlich nicht so im fundamentalistischen Sinn. Aber sowas wie Grün, war natürlich mit meinem Vater auch nicht machbar …“, lacht, „also im Ernst, das ist so in etwa meine Prägung, und sie ist auch der innere Antrieb für meine Arbeit als Unternehmensberater, bei den Business Keepern oder auch als Generalsekretär im Europäischen Netzwerk für Wirtschaftsethik, wo ja jetzt auch die Netzwerke der neuen Beitrittsländer hinzukommen … Also ich glaube, davon bin ich überzeugt, wir stehen vor einem Umschwung, weil die Leute begreifen, dass es so nicht weitergeht.“