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Archiv-Artikel

Kritik an der Kriegsdoktrin

Vor Beginn der Generaldebatte äußerte Bush „Verständnis“ für die kriegskritische Haltung der deutschen Regierung

von ANDREAS ZUMACH

Sehr kontroverse Standpunkte haben den gestrigen Auftakt der Generaldebatte der UNO-Vollversammlung in New York bestimmt. Generalsekretär Kofi Annan kritisierte in seiner Eröffnungsrede mit bislang von ihm nicht gehörter Deutlichkeit die Präventivkriegsdoktrin der USA und den auf Basis dieser Doktrin geführten Krieg der USA und Großbritanniens gegen Irak. Annan warnte vor den verheerenden Folgen jedweder präventiven Gewaltanwendung ohne Mandat der UNO für die internationale Sicherheit. Die der Präventivkriegsdoktrin zu Grunde liegende Logik sei „ein fundamentaler Bruch mit dem Prinzip, das, wenn auch nicht ohne Fehler, in den vergangenen 58 Jahren für Frieden und Stabilität gesorgt hat“, betonte der Generalsekretär unter großem Beifall aus dem Plenum der 191 UNO-Mitgliedstaaten. (siehe nebenstehende Dokumentation von Auszügen der Rede Annans).

US-Präsident George W. Bush hingegen rechtfertigte laut vorab von seiner Administration veröffentlichten Textauszügen seiner (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe gehaltenen) Rede den Krieg gegen Irak erneut als notwendig und richtig. Fehler oder Versäumnisse seiner Regierung räumte Bush auch nicht mit Blick auf die verfahrene Nachkriegssituation im Irak ein. Stattdessen forderte der US-Präsident die Mitgliedstaaten der Generalversammlung auf, das amerikanisch-britische Besatzungsregime und den Wiederaufbau im Irak mit Soldaten und Geld zu unterstützen.

Vor Beginn der Generaldebatte hatte der US-Präsident in einem Fernsehinterview „Verständnis“ für die kriegskritische Haltung geäußert, die Bundeskanzler Gerhard Schröder im August letzten Jahres bezogen und die zu einer erheblichen Belastung im Verhältnis zwischen den Regierungen in Washington und Berlin geführt hatte. Mit der Formulierung, Schröder habe sich damals „im Wahlkampf“ befunden, machte Bush allerdings deutlich, dass sich sein Verständnis nicht auf die Kriegskritik in der Sache erstreckt.

In Berliner Regierungskreisen und in Schröders Delegation in New York waren Bushs Interviewäußerungen als Indiz für eine deutliche Verbesserung des bilateralen Verhältnisses gewertet worden. Heute wollen Schröder und Bush zu einem rund halbstündigen Meinungsaustausch zusammentreffen. Es ist die erste Begegnung zwischen den Regierungschefs seit Mai letzten Jahres.

Nach einem Gespräch mit UNO-Generalsekretär Annan vor Beginn der Generaldebatte signalisierte Schröder Unterstützung für die französische Forderung nach einem knappen Zeitplan für die Übergabe der Macht im Irak an eine frei gewählte Regierung. Dabei werde „eher in Monaten gedacht“, erklärte der Bundeskanzler. Über den genauen Zeitplan müsse allerdings „im Sicherheitsrat entschieden werden“.

Mit Annan sprach der Kanzler nach eigenen Angaben auch über eine Reform des UN-Sicherheitsrates. Deutschland unterstütze das Vorhaben, betonte Schröder und fügte hinzu, dass Berlin auch bereit sei, zusätzliche Verantwortung zu übernehmen. „Aber wir drängeln da nicht“, fügte er mit Blick auf den deutschen Wunsch nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat hinzu. Auch über Afghanistan und die Ausweitung des deutschen Engagements habe er mit Annan gesprochen, sagte Schröder.

Schröder nahm im Anschluss an der Eröffnung der Generaldebatte der UN-Vollversammlung teil; auch Außenminister Joschka Fischer (Grüne) war zugegen. Schröder, der selbst am Mittwoch eine Rede halten wird, ist der zweite deutsche Kanzler, der vor der Vollversammlung spricht.