: UNO kritisiert Geheimdienste im Anti-Terrorkampf
Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen wirft Deutschland und zahlreichen anderen Staaten vor, gegen verbindliche Menschenrechtsnormen zu verstoßen. Er fordert eine systematische Kontrolle der Sicherheitsdienste
GENF taz ■ Zahlreiche Staaten, darunter Deutschland, verstoßen mit dem Einsatz ihrer Geheimdienste zur Terrorismusbekämpfung gegen völkerrechtlich verbindliche Menschenrechtsnormen. Zu diesem Ergebnis kommt der „UNO-Sonderberichterstatter für die Einhaltung und den Schutz der Menschenrechte bei Anti-Terrorismus-Maßnahmen“, Martin Scheinin, in seinem in Genf veröffentlichten Jahresbericht für 2008.
Namentlich kritisiert der finnische Völkerrechtsprofessor unter anderem China, Russland, Pakistan, Algerien, Marokko sowie die zentralasiatischen Exrepubliken der früheren Sowjetunion. Unter den westlichen Demokratien finden neben Deutschland, Großbritannien und anderen EU-Mitgliedern vor allem die USA kritische Erwähnung. Dabei geht es um die 2001 von der Bush-Administration eingeführten Praktiken der Terrorbekämpfung. Die Regierung von Präsident Barack Obama hat inzwischen deren zumindest teilweise Revision angekündigt.
In fast allen UNO-Staaten haben seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Inlands- wie Auslandsgeheimdienste Aufgaben und Kompetenzen übernommen, die vormals der Polizei und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsbehörden vorbehalten waren. Darunter fällt die Sammlung personenbezogener Daten und Informationen sowie die Überwachung, Festnahme, Inhaftierung und das Verhör von Personen. All diese Maßnahmen bedeuten einen zum Teil schwerwiegenden Eingriff in die Privatsphäre und andere grundlegende individuelle Freiheiten. Ihr Schutz ist im „Zivilpakt“ der UNO von 1966 und in anderen internationalen Menschenrechtsverträgen völkerrechtlich verbindlich geregelt. Doch fast in keinem Land, moniert der UNO-Sonderberichterstatter, wurde diese Übertragung weitreichender Kompetenzen und Eingriffsrechte auf die Geheimdienste bis heute gesetzlich so geregelt, dass die internationalen Menschenrechtsnormen und rechtsstaatlichen Kriterien erfüllt sind. Fast überall unterlägen die Geheimdienste und ihre Mitarbeiter bei ihren Aktivitäten zur Terrorbekämpfung keiner oder nur einer unzureichenden Aufsicht und Kontrolle durch Regierung, Parlament und Justiz. Damit sei illegalen Praktiken bis hin zu Folter bei Verhören Tür und Tor geöffnet worden. „Regierungen haben diese illegalen Praktiken geduldet oder sogar ausdrücklich angeordnet“, schreibt der UNO-Sonderberichterstatter in seinem Bericht. Eine der wenigen positiven Ausnahmen, auf die Scheinin mehrfach verweist, ist die niederländische Gesetzgebung über Geheim- und Sicherheitsdienste aus dem Jahr 2002.
Hinzu kommen die Fälle, in denen es zwar nationalstaatliche Gesetze oder zumindest von der Regierung angeordnete Regelungen gibt, diese aber klar gegen internationale Bestimmungen verstoßen. Ausdrücklich kritisiert der Sonderberichterstatter in diesem Zusammenhang die USA, aber auch Russland, Algerien, Marokko sowie Usbekistan, Kirgisien und Tadschikistan.
Als schweren Verstoß gegen internationale Menschenrechtsbestimmungen verurteilt der UNO-Sonderberichterstatter die Einrichtung nach wie vor geheimer Inhaftierungslager für terrorverdächtige Personen durch den US-Geheimdienst CIA sowie die Entführung und Verschleppung von Personen in Flugzeugen der CIA. Scheinin kritisiert die – bis heute nicht eingestandene – Mitverantwortung der Regierungen und Geheimdienste Deutschlands und anderer EU-Staaten, deren Flughäfen und Lufträume die CIA für Verschleppungen nutzte. Er geht davon aus, dass die transatlantische Kooperation bei diesen Praktiken durch eine bis heute geheimgehaltene Absprache der Nato vom 4. Oktober 2001 begründet und im weiteren durch ebenfalls geheime bilaterale Vereinbarungen zwischen der Bush-Administration und den europäischen Regierungen geregelt wurde. Ähnliche völkerrechtswidrige Absprachen und Kooperationen gebe es zwischen den zehn Mitgliedstaaten der Schanghai-Gruppe.
Scheinin fordert die UNO-Mitgliedstaaten auf, die Kompetenzen der Geheimdienste bei der Terrorbekämpfung gesetzlich eindeutig und unter Beachtung internationaler Menschenrechtsnormen zu regeln und der systematischen Kontrolle durch Regierung, Parlament und Justiz zu unterstellen. ANREAS ZUMACH
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