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Archiv-Artikel

Pädosexuelle Übergriffe auf Jungen

10- bis 16-jährige Jungen werden häufig zur sexuellen Kontaktaufnahme von Erwachsenen in der Öffentlichkeit angequatscht. Jeder Zwölfte erfuhr dabei schon Missbrauch. Das ergab eine Studie der FU. Verein stärkt Selbstwertgefühl der Betroffenen

VON WALTRAUD SCHWAB

Jeder vierte Junge, der sich in Schwimmbädern, Einkaufszentren oder auf öffentlichen Plätzen der Stadt aufhält, hat bereits sexuelle Kontaktaufnahmeversuche von Erwachsenen erlebt. Bei jedem 12. Kontakt kam es dabei zu sexuellen Handlungen. Dies ist das Ergebnis der umfangreichen Studie „Pädosexuelle Übergriffe auf Jungen im öffentlichen und halböffentlichen Berliner Raum“, die am Institut für Prävention und Gesundheitsforschung der Freien Universität in Kooperation mit dem Verein Subway Berlin e.V. erstellt wurde. 500 Jungen im Alter zwischen 10 und 16 Jahren wurden zu ihren Erfahrungen befragt.

„Es ist die erste Studie, die in Bezug auf sexuellen Missbrauch dezidiert nach den Übergriffen fragt, die im öffentlichen Raum geschehen“, erläutert Lutz Volkwein, der Leiter von Subway. Der Verein macht Straßensozialarbeit für männliche Jugendliche – für Trebegänger und Stricher, Callboys und Straßenhelden. Seit zehn Jahren gibt es Subway. Die Studie ist das Geburtstagsgeschenk. Mit ihr gelingt es dem Verein, die auf der Straße gemachten Erfahrungen auch wissenschaftlich zu fundieren und die Erkenntnisse für die Präventionsarbeit zu nutzen.

Die Studie bringt Klarheit zumindest für die untersuchte Altersgruppe. Bisher gab es, nach Auskunft von Dieter Kleiber, Psychologe und Leiter des Präventionsinstituts an der FU, international nur fünfzehn Untersuchungen zu sexuellem Missbrauch an Jungen. Drei davon liegen deutsche Erhebungen zugrunde. Bezogen auf die Ergebnisse variieren die Studien sehr. Die Zahlen liegen zwischen jedem 3. und jedem 33. männlichen Jugendlichen, der Missbrauchserfahrungen habe.

Nicht nur quantitative Erkenntnisse wurden in der neuen Studie zu Tage gefördert, sie benennt auch Risikofaktoren, die Jugendliche bevorzugt zu Opfern werden lässt. Die Kontaktaufnahme nämlich ist nur der erste Schritt der Täter. Im nächsten versuchen sie, eine Beziehung mit dem Jugendlichen aufzunehmen, Versprechungen zu machen, Vertrauen herzustellen. Dabei wurde festgestellt, dass Jugendliche, die aus einem sozial belasteten Elternhaus kommen, oder solche, die eine geringe soziale Unterstützung von ihren Vätern erfahren, sich eher auf unklare Außenkontakte einlassen. Des Weiteren seien Jugendliche mit geringem Selbstwertgefühl leichter ansprechbar, wie übrigens auch Draufgänger und Weglaufkinder.

Weitere Risikofaktoren werden bei Jugendlichen gesehen, die Belohnungen nicht aufschieben können. Sie seien in konkreten Situationen verführbarer. Jugendliche, die nicht in Gangs auftreten, sondern erkennbar einzelgängerisch wirken, werden ebenfalls von Tätern eher angesprochen. Jungen, die ein Desinteresse an der Schule zeigen, gehören, der Studie zufolge, zudem zur Risikogruppe.

Die Annahme allerdings, dass Jungen aus einem guten sozialen Umfeld oder solche mit guten Schulleistungen weniger gefährdet seien, konnte nicht nachgewiesen werden. Ebenfalls ließ sich die Vermutung, dass ein Migrantenhintergrund ein größeres Risiko darstelle, nicht belegen. Die Ergebnisse der in Berlin erhobenen Studie sind laut Professor Kleiber auf andere Großstädte, die ähnliche Bedingungen bieten, übertragbar.

Auf Grundlage der Studie hat der Verein Subway ein eigenes Präventionskonzept entwickelt. Vor Ort werden den Jugendlichen Angebote gemacht, die die Stärkung des Selbstwertgefühls trainieren und die den Jungen zu vermitteln suchen, dass Belohnungsaufschub manchmal Vorteile bringt. „Viele Jungen meinen, immer alles im Griff zu haben. Sie müssen lernen, dass dem nicht so ist und dass das keine Schande ist“, meint Volkwein vom Verein Subway.