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Archiv-Artikel

Wo bleibt die aufklärerische Funktion der Universität?

taz-Sommerschule (8): Den Hochschulen soll der kritische Geist ausgeblasen werden. Wirtschaftslobbyisten versuchen der modernen Uni das Image eines marktgerechten Dienstleisters zu verpassen. Studiengebühren sind dabei ein Schlüsselelement. So soll ein Markt für Studiengänge entstehen

Kaum ein Vorwurf ist so diskreditierend wie der, überholte Positionen zu vertreten. So gelten in der derzeitigen Debatte über die Zukunft der Universität Studiengebühren als modernste Maßnahme einer zeitgemäßen Reform. Wer daran erinnert, dass in einer Demokratie Bildung ein öffentliches Gut ist und der Hochschule als Ort kritischer Selbstverständigung eine aufklärerische Funktion in der Gesellschaft zukommt, gilt als altmodisch.

In den letzten Monaten wurde Bildung oft per se mit Berufsqualifikation gleichgesetzt. Unter dem Deckmantel betriebswirtschaftlicher Reorganisation der Hochschule kam die Forderung auf, den kritischen Antagonismus zwischen Universität und Gesellschaft aufzulösen – und die Uni mit wirtschaftlichen Interessengruppen enger zu verflechten. Einen der Höhepunkte bildete der Spiegel, als er in einem Titel die staatliche Hochschule auf eine „teure Billig-Uni“ reduzierte. Bei näherer Analyse wird deutlich, dass die darin favorisierten Vorschläge weitgehend mit denen des „Centrums für Hochschulentwicklung“ (CHE), eines Co-Unternehmens von Bertelsmann-Stiftung und Hochschulrektorenkonferenz, übereinstimmen. Vieles spricht deshalb dafür, dass einige Lobbyverbände, von denen das CHE nur der prominenteste ist, die Debatte massiv beeinflussen. Mit ihren enormen Finanzmitteln und Publikationsmöglichkeiten können diese Gruppen immer wieder eingängige Argumentationsketten in Umlauf bringen, die dann von etlichen Journalisten aufgegriffen werden. Es entsteht ein gesellschaftliches Klima, in dem bestimmte Ansichten als modern gelten.

Das CHE setzt sich vor allem für eine Reorganisation der Hochschule nach betriebswirtschaftlichen Modellen ein. An die Stelle der scheinbar überholten emanzipatorischen Bildungsideale tritt die Lenkung der Hochschule durch die unsichtbare Hand des Marktes. Die Universität soll sich durch das Etablieren von Angebot und Nachfrage, Wettbewerb und Profilbildung in ein modernes „Dienstleistungsunternehmen“ mit hierarchischer Managementstruktur verwandeln. Sie soll sich wie ein Konzern auf bestimmten Märkten bewegen: Auf dem Forschungsmarkt soll sie durch die Vermarktung ihrer Patente und Analysen Gewinne und Drittmittel erwirtschaften. Wie jeder Marktteilnehmer muss sie dann die Rentabilität ihrer Tätigkeit prüfen.

Sollte man sich da nicht um die Forschungsfreiheit sorgen? Durch Studiengebühren soll zudem ein Markt für Studiengänge entstehen. Von Studierenden als Kunden erhofft man sich die Lösung nahezu aller Probleme. Naomi Klein hat in No Logo gezeigt, dass die Wertschöpfung im modernen Kapitalismus häufig über die Etablierung eines Labels funktioniert. Ähnliches meint der vom CHE geprägte Begriff einer „Profilbildung“ der Unis. Durch Profilbildung sollen diese ihren Namen mit Erfolg und Qualität assoziieren. Gelingt es so, den Namen einer Uni in ein Label zu verwandeln, bedeutet dies den Aufstieg zu einer Eliteuni. Das ist der Hintergrund, wenn ständig von Vorbildern wie Harvard oder Yale die Rede ist.

Man wird den Eindruck nicht los, dass es in der hochschulpolitischen Debatte um weit mehr geht als die Einführung von 500 bis 1.000 Euro Unigebühren. Könnte es sein, dass das langfristige Interesse einer Stiftung wie des CHE darin besteht, die deutsche Universitätslandschaft auf einen Privatisierungsschub vorzubereiten? Dann wäre die Debatte nur eine zum Schein geführte. Die Reorganisation der Uni nach betriebswirtschaftlichen Modellen wäre dann lediglich der Türöffner für eine Liberalisierung des Bildungsmarktes. Im Zuge der Gats-Vereinbarungen ist schließlich schon seit langem die Öffnung des Dienstleistungssektors für internationale Anbieter geplant.

Die USA und GB sind zudem Beispiele dafür, dass eingeführte Unigebühren, von einer geringen Höhe ausgehend, sich rasch steigern können, bis sie schließlich marktrelevante Bereiche von 5.000 bis 15.000 Euro erreicht haben. Gerade vor dem Hintergrund, dass der Einfluss von Lobbyisten und Medienkonzernen scheinbar unaufhaltsam zunimmt, ist es notwendig, Hochschulen als Orte kritischer Selbstverständigung zu verteidigen. Soll die Schaffung eines Bildungsmarkts wirklich das Resultat all jener Reflexionen sein, die seit der Aufklärung über den Zusammenhang von Bildung und gesellschaftlicher Partizipation angestrengt wurden? Oder ist es nicht vielmehr ein Merkmal unserer Zeit, das Vertrauen in die eigene Gestaltungskraft derart verloren zu haben, dass man nun sein Heil in fragwürdigen betriebswirtschaftlichen Rezepten und Automatismen des Marktes sucht? Die betriebswirtschaftliche Organisation wird allenfalls den Konformitätsdruck an den Universitäten erhöhen, nicht aber den entwichenen Geist in ihre Mauern zurückbringen.

HAUKE RITZ

Der Autor (29) studiert Literatur- und Kulturwissenschaften an der Freien und der Humboldt-Uni Berlin. Die Sommerschule fragt, „wohin die Bildungsreformen in Kitas, Schulen und Unis führen“.