Keiner will „Papst“ werden

Um die Wahl des neuen Kirchenpräsidenten der Evangelisch Reformierten Landeskirche Bayern und Nordwestdeutschland ist ein erbitterter Streit entstanden. Jetzt klopft auch noch der Bankrott an die Pforten der kleinen evangelischen Gemeinde

„Individuelle Macht kann es in der Kirche der Reformierten nicht geben“

aus LeerThomas Schumacher

Wie der Teufel das Weihwasser so scheuen evangelisch reformierten Christen Bischöfe und Päpste in ihrer Kirche. Einen solchen Posten aber will die Landessynode, das höchste Gremium der Reformierten, ihren Mitgliedern jetzt vor den Altar drücken. „Individuelle Macht kann es in der kirchlichen Demokratie der Reformierten nicht geben“, meint ein Traditionalist.

Die Reformierten sind mit 200.000 Mitgliedern die kleinste evangelische Kirche in Deutschland. Ihre Gemeinden liegen in Nordwestdeutschland, hauptsächlich in Ostfriesland, der Grafschaft Bentheim und Bayern. Höchstes Gremium der Landeskirche ist die Synode mit 60 Mitgliedern. Sie tagt nur dreimal im Jahr. In der Zwischenzeit führt das so genannte Moderamen die Kirchengeschäfte. Statt wie bisher mit einer Doppelspitze aus einem Juristen („Präsident“) und einem Geistlichen („Landessuperintendent“) soll die Verwaltung jetzt nur noch von einem Geistlichen geführt werden. Dafür musste die Synode die Kirchenverfassung ändern. Die neue Position konzentriere zuviel Machtfülle, argwöhnen viele Gemeindemitglieder. „Das ist gegen die Grundlagen des Reformismus und fördert die ‚Lutherisierung‘ unserer Kirche“, wettern auch gleich die Fundamentalisten. „Wir wollen Entscheidungsprozesse verschlanken und unsere Repräsentanz nach außen hin transparenter machen“, begründet dagegen der derzeitige Landessuperintendent Walter Herrenbrück aus Leer die Reform.

Hintergrund des Kirchenstreites: Im Gegensatz zur lutherisch-evangelischen oder gar zur katholischen Kirche lehnen die reformierten Christen jegliche Bevormundung von „oben“ ab. Grundsatz der Reformierten ist die Selbstständigkeit der Gemeinden. Entscheidungsgremium in den Gemeinden ist der Kirchenrat. Der jeweils von der Gemeinde gewählte Geistliche hat hier nur eine Stimme. In alle höheren Instanzen delegieren die Gemeinden ihre Mitglieder. Landessuperintendent Herrenbrück war, wie sein bislang gleichberechtigter Co-Chef, auf 12 Jahre gewählt. Jetzt geht er in den Ruhestand. Sein Nachfolger soll am 13. November in Emden als alleiniger Chef der Kirchenverwaltung gewählt werden.

Zu allem Unglück schlug ein „Modernisierer“ als Titel für die neue Position die Bezeichnung „Bischof“ vor und traf damit die sensible reformierte Seele hart. Auch nachdem man sich auf den Titel „Kirchenpräsident“ geeinigt hatte, beruhigten sich die Gemüter nicht. Schlimmer noch: Niemand wollte den frommen Top-Job. Ein Kandidat nach dem anderen zog sich „aus persönlichen Gründen“ zurück. „Durch gezielte Indiskretionen wurden Vorschläge der Kirchenverwaltung in der Öffentlichkeit diskutiert, noch bevor die Kandidaten selbst informiert waren“, bedauert Herrenbrück. Zu der Frage, wer ein Interesse an der Torpedierung der Kandidaten habe, wollte sich der Landessuperintendent nicht äußern.

Am Ende blieb ein einziger Kandidat übrig: der Leeraner Pastor für Öffentlichkeitsarbeit, Jann Schmidt. „Unmöglich, das ist gar keine Wahl“, wettert ein Synodaler. Schmidt stört das nicht: „Ich trete auf jeden Fall an.“

Ein anderes, ganz weltliches Damoklesschwert schwebt ebenfalls über den Reformierten: Geldmangel. Im Zuge von Ausgleichszahlungen müssen sie Kirchensteuern zurückzahlen. „Das hat für unsere kleine Kirche dramatische Konsequenzen“, sagt Herrenbrück. Schon hat die Verwaltung eine Ausgabensperre verhängt, die 300.000 Euro einsparen soll – etwa ein Prozent des Haushalts. „Unsere Finanzen haben aber nichts mit den Absagen unserer Kandidaten für das Kirchenpräsidentenamt zu tun“, wiegelt Herrenbrück ab.