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Archiv-Artikel

Görhaard und George

aus New York JENS KÖNIG

Sie haben sich getroffen. Sie haben sich die Hand gegeben. Sie haben miteinander geredet. „Reunited“, schreibt die New York Post auf Seite 1. Und auf Seite 3 steht dann das erste Foto der großen Wiedervereinigung.

Auf dem Bild sind Jennifer Lopez und Ben Affleck zu sehen, das Hollywood-Liebespaar, vorige Woche überraschend getrennt, die Hochzeit geplatzt, jetzt wieder Hand in Hand. Doch ihre große Liebe, muss die Post ihre Leser enttäuschen, haben sie doch nicht wiederentdeckt.

Die vermeintliche Versöhnung des Jahres findet stattdessen in New York statt, im 35. Stock des berühmten Hotels Waldorf Astoria. Hier reicht der deutsche Kanzler dem amerikanischen Präsidenten am Mittwochmorgen – die Schröder-Watchers vermelden die genaue Uhrzeit mit 8.50 Uhr – die Hand. Das anschließende Gespräch zur deutsch-amerikanischen Wiedervereinigung dauert knapp vierzig Minuten. Wenn der Zeitplan nicht so eng gewesen wäre, ist hinterher von den Kanzlerleuten zu hören, hätten Schröder und Bush sogar noch länger miteinander geredet.

Natürlich sind jetzt alle glücklich und zufrieden. Sie zeigen das aber mit dem für Politiker dieser Gehaltsklasse gebotenen Understatement. Als sich nach dem Gipfelgespräch die Türen der Suite 35 H für die Journalisten öffnen, sitzen da Kanzler und Präsident entspannt auf leuchtend gelben Sesseln. In den vier Minuten der jetzt folgenden Peepshow bleibt keine Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, was es bedeuten könnte, dass in dem Raum die Jalousien heruntergelassen sind. „It was a very good talk“, legt Bush sofort los, und fügt den Satz hinzu, auf den der Deutsche so sehnsüchtig gewartet hat, was er aber natürlich nicht zugeben darf, weil die deutsch-amerikanische Freundschaft ja immer blendend war: „We had differences. But they are over.“ Dann ist der Kanzler dran. „Es war ein offenes, vertrauensvolles Gespräch“, sagt er eine Spür zu kühl.

Der Streit ist also vorbei. Als der amerikanische Präsident das während des 40-minütigen Gesprächs feststellte und der Kanzler sagte, er sehe das genauso, da sollen auf den Bänken neben den beiden Chefs Seufzer der Erleichterung zu vernehmen gewesen sein. Auf deutscher Seite saßen da Joschka Fischer, der Außenminister, Bernd Mützelburg, der außenpolitische Berater des Kanzlers, sowie Wolfgang Ischinger, der deutsche Botschafter in Washington. Bush hatte seinen Außenminister Colin Powell, seine Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice sowie einen persönlichen Mitarbeiter aus seinem Stab mitgebracht. Jetzt könnten beide Seiten endlich wieder miteinander arbeiten, hieß es auf deutscher Seite. Die Chefs sagen sogar schon wieder „Görhaard“ und „George“ zueinander.

Ist jetzt alles wieder gut? „Leute“, sagt der Kanzler genervt, „was ihr immer wissen wollt!“ Während der gesamten New-York-Reise versuchte er der Journaille vergeblich zu erklären, dass es in der Politik nicht um Liebesbeziehungen gehe. Die Schreiberlinge sollten ihm vom Hals bleiben mit ihren ewigen Mutmaßungen, wer wem wie lange die Hand schüttelt. Noch größer als der Ärger des Kanzlers über diese moderne Form der Kreml-Astrologie ist nur noch der Groll des Außenministers. „Ihr müsst auf die politische Substanz gucken“, sagt Joschka Fischer zu den Journalisten in einem Tonfall, der zu verstehen gibt, dass er bei den meisten von ihnen in dieser Beziehung Hopfen und Malz für verloren hält.

Das mit der politischen Substanz ist aber auch viel schwieriger zu beschreiben. Gemessen an den Problemen sind 40 Minuten, als wäre gar nichts passiert. Da kann der Außenminister noch so oft betonen, dass es ein „substanzreiches Gespräch“ unter „engen, gleichberechtigten Partnern“ war. Der Parforceritt über den Globus war vorher ohnehin abgesteckt: Irak, Afghanistan, Nahost, Kampf gegen den Terror. Weder der Kanzler noch der Präsident haben in dem Gespräch etwas gesagt, was sie so oder so ähnlich nicht auch in den Tagen zuvor öffentlich gemacht hatten. Schröder ist in der Irakfrage beweglich. Keine Truppen nach Bagdad, aber wirtschaftliche Aufbauhilfe und Ausbildung irakischer Polizisten. Bush akzeptiert das. Was soll er auch sonst tun. Das deutsche Engagement in Afghanistan lobt er. In der Frage einer neuen UN-Resolution zum Irak bleiben die Differenzen bestehen, sind aber nicht unüberbrückbar. Der Kanzler unterstützt die Forderung des französischen Präsidenten, die politische Souveränität innerhalb von ein paar Monaten an die Iraker zu übergeben. Gleichzeitig argumentiert er da nicht so strikt wie Chirac. Ein Irak-Zeitplan müsse realistisch sein, sagt er. Irgendwo in diesem Spannungsfeld liegt die Kompromisslinie.

Aber hat es in dem Gespräch über diese bekannten Positionen hinaus Annäherungen gegeben? Gibt es Belege für die Annahme, dass die Amerikaner Deutschland wieder für eine Schlüsselrolle in Europa vorsehen, als eine Art Scharnier zwischen Frankreich und den USA, und das nicht nur in der Irakfrage? Bush hat in seiner Rede vor der UNO am Dienstag bruchlos eine Verbindung zwischen dem Terror vom 11. September und dem Sturz des irakischen Regimes hergestellt. Er sprach missionarisch vom „unbeendeten Krieg gegen den Terror“, in dem die „Killer“ und „Gangster“ vernichtet werden müssten. Was nützt da die ganze deutsch-amerikanische Versöhnung, wenn sich sein Blick auf die Welt nicht verändert? Deswegen passt es auch wieder, wenn sich Schröder unmittelbar nach dem Bush-Gipfel mit Chirac und dem russischen Präsidenten Putin trifft. Es ist ja ohnehin gerade die Zeit, in der quasi im Wochenrhythmus neue und alte Allianzen geschmiedet werden: Schröder–Chirac, Schröder–Chirac–Blair, Schröder–Bush, Schröder–Chirac–Putin … Eine Erklärung dafür liefert Joschka Fischer, als er für einen kurzen Moment seine diplomatische Zurückhaltung ablegt. „Ich habe in den vergangenen Jahren keine internationale Situation erlebt“, sagt Fischer, „die so blockiert war wie die jetzige.“

Überhaupt das internationale Gewicht Deutschlands – manchmal denkt man, man könne hier in New York wirklich beobachten, wie groß es geworden ist. Das Treffen Schröders mit Bush. Mit Kofi Annan. Mit Chirac und Putin. Mit dem afghanischen Präsidenten, dem brasilianischen Präsidenten, dem algerischen Präsidenten, dem südafrikanischen Präsidenten … Schröder hier, Schröder da.

Aber ist das Gewicht Deutschlands wirklich gewachsen? Kann Deutschland auf der Weltbühne eine Rolle spielen? Ist New York deshalb Schröders bislang wichtigste außenpolitische Reise? Oder setzt sich diese Erkenntnis nur hinter dem Rücken der Beteiligten durch, nicht etwa als ein Ergebnis der vielen bilateralen Gespräche und der UN-Generalversammlung, sondern als eine Art ideelle Gesamtzusammenfassung von zwei Tagen Weltpolitik?

Denn eines ist in New York unübersehbar: Die UN-Gipfeldiplomatie trägt, bei aller Erhabenheit, auch deutliche Züge des Hamburger Ohnsorg-Theaters. Da werden die Hauptdarsteller links auf die Bühne geschoben, sprechen ein paar Minuten einen auswendig gelernten Text und verschwinden rechts wieder von der Bühne. Dienstagmorgen 9.30 Uhr hetzt der Kanzler von der deutschen UN-Vertretung quer über die First Avenue ins UN-Gebäude, trifft dort in einer Zwölf-Quadratmeter-Box mit dem afghanischen Präsidenten zusammen, mit dem er dann um 9.50 Uhr schon wieder vor die Presse tritt. Da kann man für Schröder und Karsai nur hoffen, dass sie genug Zeit hatten, die Worte „Kundus“ und „Herat“ fehlerfrei auszusprechen.

Diesen Zug zum Schwank trägt unfreiwillig auch der Auftritt des Kanzlers vor der UN-Generalversammlung. Es soll eigentlich ein feierlicher Moment sein. Schröder ist erst der zweite Bundeskanzler, der vor diesem Gremium spricht. Der erste war Willy Brandt, fast auf den Tag genau vor 30 Jahren, als die Bundesrepublik (und die DDR) in die UNO aufgenommen wurde.

Im großen Saal ist von diesem 30. Jahrestag nichts zu spüren. Hier ist die Zeit stehen geblieben. Es ist immer noch 1973. Die bunten Wandmalereien erinnern an den Aufbruch in Chile. Die Holzverkleidung sieht aus wie eine riesige Panflöte. Deutschland sitzt in der 14. Reihe neben Ghana. Die UNO ist ein großer Gleichmacher, da kann ein Land politisch wachsen, wie es will. Es regiert das Alphabet.

Und eine Langeweile, die sich als Routine tarnt. Die Sitzreihen sind zur Hälfte leer. Schröder beschwört die Werte der Vereinten Nationen, spricht von einem Begriff von Sicherheit, der über das Militärische hinausgeht. Die Zuhörer nehmen seine Rede mit der gleichen Begeisterung auf wie die des Präsidenten von Mikronesien. Schröder könnte noch zehn Stunden sprechen, hier würde keiner aus der Fassung geraten.

George W. Bush trat am Dienstag vor die UNO. Der Saal war krachend voll. So viel zum Thema gleichberechtigte Partner.