: Zivilcourage-Lektionen am Gedenkort
Zuletzt arbeitete der Historiker Oliver von Wrochem an der Universität der Bundeswehr, nun leitet er das Studienzentrum der KZ-Gedenkstätte Hamburg-Neuengamme. Dort will er gerade auch konkrete Möglichkeiten des Widerstands vermitteln
Ja, es stimmt, sagte Oliver von Wrochem, dass er sich viel mit Militärgeschichte befasst habe. An der Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung hat er mitgearbeitet, über NS-Eliten, Vernichtungskrieg und Gedenkstätten bei der Bundeswehr geschrieben. Aber das ist nicht das komplette Spektrum des heute 40-Jährigen, der während der letzten drei Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg war. Seit Januar diesen Jahres leitet er das Studienzentrum der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, wo er seit Jahren bereits Tagungen mit organisiert hat.
Dass er sich vorrangig mit den Tätern befasse, „kann ich so nicht bestätigen“, sagt von Wrochem: „Wer sich als Historiker mit den Tätern befasst, trifft automatisch auf die Opfer.“ In der Tat ist er seit langem auch in der Erwachsenenbildung tätig – und hier galt das Augenmerk stets den Opfern. Am Hamburger Institut für Zeitgeschichte wie auch an jenem für Sozialforschung hat er sich mit Verbrechen der Wehrmacht einerseits und Überlebenden-Interviews andererseits befasst.
Die Gedenkstätte in Neuengamme nun ist – anders als andere Gedenkstätten, in denen sich echte Relikte konkreter Opfer finden – ein recht abstrakter Ort, an dem vorrangig mit Materialien zu arbeiten ist. Genau hier setzt das Studienzentrum an, und dessen Spektrum möchte von Wrochem erweitern: Er will nicht länger nur Jugendliche einladen, sondern auch Erwachsene. Seminare für Polizisten, Bundeswehrangehörige, Verwaltungsangestellte, Juristen und Pflegekräfte will er anbieten, diesen die Geschichte ihrer jeweiligen Institutionen während des „Dritten Reichs“ nahe bringen. Mit einer wichtigen Einschränkung: „Die Angebote“, sagt von Wrochem, „müssen immer einen Bezug zu Neuengamme als Ort haben“.
Beim Seminar über die Polizei im NS-Regime zum Beispiel sieht er da keine Probleme: Die ehemaligen Strafanstalten in Hamburg-Fuhlsbüttel gehören heute zur Gedenkstätte Neuengamme. Pflegekräfte wiederum ließen sich mit der medizinischen Unterversorgung der Häftlinge im KZ Neuengamme konfrontieren – oder mit der Tatsache, dass die SS noch 1945 in der Schule am Bullenhuser Damm 20 Kinder ermordete, an denen medizinische Experimente vorgenommen worden waren.
Bei solch historischer Betrachtung wolle er dabei nicht stehen bleiben: „Ich will bei den Menschen, die hierher kommen, das Verantwortungsbewusstsein und das Bewusstsein um die eigenen Handlungsspielräume schärfen.“ Kürzlich hat er zum Beispiel mit Jugendlichen aus Polen, Tschechien, Österreich und Deutschland gearbeitet. „Die deutschen Jugendlichen kamen mit einer Haltung her, die sehr verbreitet ist: mit einer starken Abgrenzung gegenüber den Tätern und einer großen Identifikation mit den Opfern“, erzählt von Wrochem. „Das ist im Grundsatz auch richtig so.“ Nur müssten sich die Deutschen darüber klar sein, dass sie „in der Regel keine Nachkommen von Opfern sind“, sondern großteils von Tätern. Das hätten die Jugendlichen im Laufe des Seminars verstanden. Überraschend sei der Beitrag der osteuropäischen Teilnehmer gewesen: Die sagten „dass sie unter entsprechenden Umständen auch zu Tätern hätten werden können“, sagt von Wrochem. „Allerdings hatten sie sehr abstrakte Vorstellungen von dem, was Täter, Opfer, Mitläufer und Kollaborateure seien. Genau genommen wussten sie gar nicht, welches Verhalten diese Gruppen kennzeichnet.“
Das herauszuarbeiten sei wichtigste Aufgabe der Seminare. Nicht nur wegen der Geschichte. Sondern auch, so von Wrochem, „damit sie begreifen, wo ihre ganz konkreten Handlungsspielräume auch im Alltag liegen“. PETRA SCHELLEN
Fotohinweis:OLIVER VON WROCHEM, 40, Historiker und Germanist, war bis 2008 Assistent an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr (HSU). Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung sowie an der dortigen Forschungsstelle für Zeitgeschichte. FOTO: HSU