: Scheitern nicht mehr nötig
Schwarzledriger Todessehnsuchtsrock für das Leben am Abgrund: Die Crystal Stilts bewiesen im Bang Bang Club, dass Ian Curtis ganz umsonst gestorben ist
Die Beatles und Velvet Underground sind wohl die beiden einflussreichsten Popbands aller Zeiten. Sie stehen gar für das Yin-und-Yang-Prinzip, mit dem sich nach den Sechzigern alles erklären lässt, was Pop ausmacht. Die eine Seite, der Beatles-Weg, baut auf, pflegt den Popsong, ist dem Leben zugewandt, Lieblingsdroge: Marihuana. Die andere Seite, das Velvet-Underground-Erbe, ist destruktiv und dunkel, Lieblingsdroge: Heroin. Und nun kommt da diese junge Band aus Brooklyn daher, die Crystal Stilts, und bringt alles durcheinander.
Schwarzledriger Todessehnsuchtsrock wird hier im randvollen Bang Bang Club von vier jungen Menschen vorgetragen, deren übelste Drogen wahrscheinlich Schokoladenzigaretten sind. Erst mal deutet bei bei Band tatsächlich alles auf Velvet Underground hin, sogar so sehr, dass man schon „Klon-Band“ rufen möchte.
Die Musik auf ihrem eben erschienen Debütalbum, „Alight of Night“, klingt so, als sei sie im Keller von Andy Warhols Factory aufgenommen worden. Dunkle Wolken aus dumpfem Schlagzeuggehämmer und einer quengeligen Gitarre ziehen da auf, man kriegt sofort schlechte Laune und fühlt sich trotzdem gut dabei. Dazu kommt diese Stimme von Sänger Brad Hargett, die klingt wie die eines lebendig Begrabenen, die Musik von Joy Division wirkt gegenüber der der New Yorker fast schon wie die einer Fun-Band.
Da ist es beinahe schockierend, zu sehen, dass die Crystal Stilts doch bloß eine weitere Hipsterband aus Brooklyn sind, die es eben geschickt versteht, mit den richtigen Referenzen zu hantieren. Nichts deutet auf schlechte Drogen oder sadomasochistische Neigungen hin, so wie es sich für eine echte Velvet-Underground-Gedächtnis-Band gehören würde. Die Schlagzeugerin spielt im Stehen, so wie einst Moe Tucker bei Velvet Underground, mehr an eindeutigen Referenzen ist da aber nicht. Von dem Kaputten, das man in die Musik der Crystal Stilts hineinprojiziert, ist nichts zu spüren, weltabgewandter, nach Depressionen klingender Rock wird hier ganz selbstverständlich von vier jungen Menschen dargeboten, die wahrscheinlich nicht mal Mühe haben, ihre Mieten zu bezahlen. Gut, natürlich ist selber schuld, wer auch in der Postmoderne noch ein klein wenig an Authentizität in der Rockmusik, und sei es nur aus nostalgischen Gründen, geglaubt hat.
Dass Indierock heute vielmehr bloß noch ein permanentes Sortieren von Referenzen ist, das wird bei diesem Konzert noch einmal beispielhaft demonstriert. Die Crystal Stilts wirken so brav, so nett und leider auch so harmlos, dass es schon grotesk wirkt, wie sie sich musikalisch in eine Reihe mit Düsterbands wie Jesus & The Mary Chain stellen. Gut, Sänger Brad Hargett versucht immer wieder, ein wenig verloren zu wirken, er rollt immer wieder mit den Augen und gibt sich Mühe, den Eindruck von Hilflosigkeit zu erwecken. Aber bei diesen von Ian Curtis abgeschauten Posen denkt wohl niemand im Publikum, dass der Junge mit dem Wuschelkopf nach dem Konzert zurück ins Hotel gehen, den Fernseher anmachen und den Strick rausholen könnte.
„Alight of Night“, diese traumatisch und fiebrig klingende platte der Crystal Stilts, entpuppt sich noch während des Konzerts als Illusion. Das Leben am Abgrund, das man aus ihr heraushört und das einen in ein Achtziger-Jahre-Gefühl versetzt wie lange nichts mehr, das gibt es einfach nicht. Scheitern ist einfach nicht mehr notwendig, um so eine Art von Musik einzuspielen, wir hatten es geahnt, nun wissen wir es. Ian Curtis ist ganz umsonst gestorben. Diese Erkenntnis ist traurig, vielleicht aber auch ein wenig beruhigend.
ANDREAS HARTMANN