: Geld allein macht doch nicht glücklich
Eine Untersuchung der Internationalen Arbeitsorganisation ergibt, dass die Zufriedenheit nicht in gleichem Maße wie das Einkommen steigt. Wichtiger ist die soziale Sicherheit. Westeuropa liegt noch vorne – mit sinkender Tendenz
BERLIN taz ■ Wirtschaftliche Sicherheit macht glücklich. Das ist das Ergebnis einer Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die gestern in London vorgestellt wurde. Fast wie eine Replik auf die Hartz-Reformen der Bundesregierung wirkt es, wenn die ILO-Experten konstatieren, ökonomische Sicherheit sei auch förderlich für Wirtschaftswachstum und soziale Stabilität. Dies gelte auch in den Betrieben selbst: Unternehmen, die ihren Arbeitern Sicherheit bieten, seien mit größerer Wahrscheinlichkeit auch wirtschaftlich erfolgreicher.
Ein für gut 90 Länder berechneter Index der ökonomischen Sicherheit, für den 48.000 Menschen befragt wurden, bestätigt die alte Weisheit, dass Geld allein nicht glücklich macht. Zwar gebe es einen positiven Zusammenhang zwischen dem Reichtum eines Landes und der Zufriedenheit seiner Bürger. Doch mit zunehmendem Reichtum nehme das Glück nicht entsprechend zu. Entscheidend seien ein Sozialversicherungssytem, das Schutz vor Einkommensverlust bietet, und relativ geringe Ungleichheit bei den Einkommen.
Die in vielen Ländern herrschende ökonomische Unsicherheit über Job, Einkommen und die berufliche Qualifikation nehme das Ausmaß einer globalen Krise an, so die ILO-Studie. Fast drei Viertel aller Arbeitnehmer weltweit leben demnach unter unsicheren Bedingungen. Nahezu überall nehme die Beschäftigungssicherheit ab.
Die Organisation rügt insbesondere die lateinamerikanischen Länder, die in Anbetracht ihres relativen Wohlstands ihren Bürgern ein weit höheres Maß an Sicherheit bieten könnten, als sie es tatsächlich tun. Am besten schneidet Westeuropa ab – allerdings mit abnehmender Tendenz. Vor allem auf dem Arbeitsmarkt sei die Sicherheit drastisch zurückgegangen.
Die ILO, die jüngst einen Bericht über die sozialen Auswirkungen der Globalisierung veröffentlichte, kommt auch in dieser Studie zu eher globalisierungskritischen Ergebnissen. Die zunehmende Liberalisierung der Weltmärkte habe in den meisten Ländern zu viel größeren Schwankungen beim Wirtschaftswachstum bei zugleich niedrigeren Wachstumsraten geführt und so das Gefühl von Unsicherheit noch vergrößert. China und Indien mit ihren überdurchschnittlich hohen Wachstumsraten seien Ausnahmen, die den allgemeinen Trend verschleierten. Gerade die Liberalisierung der Finanzmärkte trage zu Krisenanfälligkeit und damit größerer Unsicherheit bei.
Die Autoren der Studie raten daher Entwicklungsländern zu Kapitalverkehrsbeschränkungen, solange keine ausreichenden sozialen Sicherungssysteme bestehen, um externe Schocks abzufedern. NICOLA LIEBERT