Die Normalität feiern

Gut geschmiert die Angst übertünchen: Mit der Verleihung ihrer Preise bestätigt sich die Leipziger Buchmesse ihre Funktion und überspielt die Unsicherheit der Buchbranche angesichts von Netzpiraten. Traditionen sind doch ein feines Gerüst

VON DIRK KNIPPHALS

Wie geschmiert läuft diese Messemaschinerie von Anfang an. Die Stände der großen Verlage haben Flaggschiffgröße behalten, nur beim Aufbau lässt man es nach Insolvenz und Neuanfang etwas bescheidener angehen. Alle Messe-Beteiligten inklusive Kulturstaatsminister Bernd Neumann wissen, dass man Leipzig prima als Lesemesse und Publikumsevent verkaufen kann, wenn jemand behauptet, die Geschäfte würden aber nun echt in Frankfurt gemacht.

Und 20 Jahre Mauerfall – oder, wie hier als Sprachrelegung durchgesetzt werden soll: 20 Jahre friedliche Revolution – schmeicheln eh dem Leipziger Geist. Massive Normalitätssignale also. Bernd Neumann entschuldigte sich bei seiner Ansprache zum Buchpreis fast dafür, dass hier mal nicht von großer Krise die Rede sei. Normalitätssignale sendete auch der Buchpreis selbst, der zwar erst zum fünften Mal verliehen wird, aber längst den großen Anker des ersten Messetages darstellt.

Dass die Mikros versagten, als ausgerechnet der Juryvorsitzende Ulrich Greiner ansetzte, war nur ein technisches Versehen. Ansonsten verlief alles reibungslos, wenngleich auch spannungsarm und erwartbar. Eike Schönfeld (der Übersetzer, der es geschafft hat, dass jeder seinen Namen kennt) bekommt den Preis für seine Übertragung von Saul Bellows Roman „Humboldts Vermächtnis“. Herfried Münkler bekommt für „Die Deutschen und ihre Mythen“ (s. taz v. 11. 3.) den Preis für das beste Sachbuch; das geht in Ordnung, sicher, warum sollte eine Nation auch nicht über Gründungsmythen nachdenken. Und Sibylle Lewitscharoff bekommt den Preis für ihren Roman „Apostoloff“, darauf hätte man vorher zumindest sein vorletztes Hemd verwetten können.

Rhetorik des Bewahrens

Warum die Vergewisserung der Normalität, die in solchen Signalen liegt, so massiv auffällt, erklärt sich vielleicht, wenn man die Eröffnungsveranstaltung am Abend zuvor hinzunimmt. Da wurde nämlich klar, was wirklich Thema dieser Messe und der Branche in den nächsten Jahren sein wird: die E-Books. Das hat Gottfried Honnefelder, der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, deutlich gemacht – ob er es nun wollte oder nicht.

Seine traditionelle Rede zur Eröffnung im Leipziger Gewandhaus nutzte Honnefelder zu einer Philippika in Sachen des gerade in Stockholm anhängigen Prozesses gegen die Betreiber des Onlineangebots The Pirate Bay. Hier gehe es, so Honnefelder, um eine „richtungsweisende Entscheidung für den Zustand von geistigem Eigentum“. The Pirate Bay bietet Wegbeschreibungen an, wie man im Netz illegale Kopiermöglichkeiten von Musik, Filmen, aber eben auch von Büchern finden kann. Wenn solche Seiten legal würden und die E-Books sich durchsetzen, könnte es der Verlagsbranche so gehen wie jetzt schon der Musikindustrie: Niemand kauft mehr die Produkte, alle laden sie sich aus dem Netz herunter.

Der Weg, den Honnefelder skizzierte, lässt sich auf den Punkt bringen: Kriminalisierung solcher Internetangebote und Einhegung der Freiheit, die das Netz bietet. Er bemühte sich, keineswegs als Vertreter einer kulturkritischen Anti-Internet-Haltung zu wirken. Aber die rhetorischen Fragen, die er stellte, waren entlarvend. So fragte Honnefelder, ob „wir“ uns bei der Hilfe zur notwendigen Auswahl im Netz „nicht weiterhin denen anvertrauen sollten, die diese Aufgabe seit über 200 Jahren transparent, öffentlich und mit dem Ziel einer vertrauensvollen Partnerschaft von Autor und Leser wahrnehmen – den Verlegern und Buchhändlern?“

Ob Appelle und gewachsene Traditionen tatsächlich weiterhelfen? Im Netz, in den Blogs über die Buchmesse, wird bereits cool angemerkt, dass die Buchbranche offenbar gerade dabei ist, die Fehler der Musikindustrie zu wiederholen. Geraten wird eher, auf neue, kreative Vertriebswege zu setzen, die das Netz einbeziehen. Immerhin konnte Gottfried Honnefelder auf die Netz-Plattform „Libreka!“ verweisen, auf der man ab sofort legal E-Books beladen kann. Nur haben solche legalen Angebote eben einen in Netzkreisen nicht zu unterschätzenden Makel: Sie sind so uncool wie ihr Name.

Ansonsten war die Eröffnung angemessen und stimmungsvoll; eine Branche, die bloß kein Krisengerede will, auch hier. Das Gewandhausorchester spielte unterhaltsam Prokofjew und Dvořák. Jens Reich hielt eine Laudatio auf den Preisträger des Leipziger Buchpreises zur europäischen Verständigung, Karl Schlögel, wie man sie nur halten kann, wenn man den Geehrten wirklich gut kennt. Karl Schlögel selbst legte mit einem beeindruckenden Pathos der Nüchternheit Ergebnisse seines Buchs „Terror und Traum“ über die Gleichzeitigkeit des stalinistischen Terrors und der alltäglichen Projektionen für eine lichte Zukunft im Jahr 1937 in Moskau dar.

Schlögels Buch ist übrigens noch nicht als E-Book lieferbar. Aber das kommt noch.