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Archiv-Artikel

berliner szenen Am Winterfeldtplatz

Von 13 bis 14 Uhr

Mit weißer Kreide finden sich an diesem letzten Dienstag im August Wörter auf den Winterfeldtplatz geschrieben. „Gabriel“ steht da. Und: „Guten Morgen!“ Außerdem „Simon“, „Alex“ sowie „Nicole alles gute zum Geburtstag Deine Lisa“. Daneben findet sich ein langer Strich, offensichtlich eine Start- oder Ziellinie. Natürlich weiß man sofort, was hier los war: ein Kindergeburtstag. Aber was würde man denken, wenn man ein Ethnologe aus der Südsee wäre, der zu Studienzwecken diese eine Stunde in Schöneberg Station machte? Vielleicht würde man den Eindruck entwickeln, einem interessanten Brauch mitteleuropäischer Großstadtbewohner auf der Spur zu sein: Wenn einer Geburtstag hat, schreiben alle ihren Namen auf einen öffentlichen Platz, um so rituell das Gefühl der Gemeinschaft zu stärken. Hm. Gar kein so schlechter Brauch!

Als Nächstes könnte man als Südsee-Ethnologe den Verdacht hegen, dass dieses Deutschland kinderreich ist. Denn dies ist die Stunde der nach Hause gehenden Schulkinder; die anliegenden Schulen haben Schluss. Man könnte sich Gedanken darüber machen, warum Mädchen in einer Dreiergruppe, Jungs aber entweder in einer Zweier- oder in einer Vierergruppe nach Hause gehen – im Berichtszeitraum waren solche Konstellationen auffällig häufig. Und man könnte über die Funktionen von Schulranzen bzw. Rucksäcken im Prozess des Heranwachsens nachdenken. Jedenfalls tragen alle Schulkinder bis zum Alter von zehn Jahren Schulranzen und alle älteren Schulkinder Rucksäcke auf dem Rücken. Diese seltsame Verwandlung scheint schlagartig vonstatten zu gehen. Wie ein neues Entwicklungsstadium.

DIRK KNIPPHALS

(14 bis 15 Uhr: kommenden Freitag)