: Mal so richtig eine durchziehen
Seit Schuljahrsbeginn gilt ein absolutes Rauchverbot an allen Berliner Schulen. Nun stehen Lehrer wie Schüler qualmend auf der Straße. Selbst Suchtbeauftragte zweifeln am Sinn der Maßnahme
VON STEFAN KLOTZ UND LENA V. SEGGERN
Vor dem Haupteingang der John-Lennon-Oberschule in Mitte steht eine Traube von Schülern. In jeder Pause. Seit drei Wochen. Sie wollen „zum Bäcker“, sagen sie. Seit drei Wochen huschen in jeder freien Minute auch gebückte Lehrer in eine Seitengasse. Auch Elena aus der 9. schleicht sich in jeder Freistunde aus dem Gebäude. Denn eigentlich darf sie das Schulgelände noch nicht verlassen.
Vor drei Wochen begann das neue Schuljahr. Seitdem gilt an allen Schulen in Berlin ein generelles Rauchverbot – wie vom Abgeordnetenhaus im Juni beschlossen. Damit soll das niedrige Einstiegsalter in die Sucht drastisch nach oben gedrückt werden. Denn mit durchschnittlich elf Jahren nuckelt der deutsche Schüler schon sehr früh das erste Mal am Glimmstängel. Nur ob ein Verbot der richtige Weg ist und wie es umzusetzen ist, darüber gehen die Meinungen an den Schulen stark auseinander.
Hans-Joachim Faust, Leiter der Winkelried-Oberschule in Wedding, hat das Verbot ausgesprochen und betrachtet den Fall damit als erledigt. Raucherecken gibt es nicht mehr. Ob und wo Schüler und Lehrer nun qualmen, interessiert ihn nicht. „Ich schnüffle meinen Kollegen nicht hinterher“, meint der Rektor, obwohl sich das bei illegalem Qualmen anböte.
Für Lehrerin Doris Lamfried, an der John-Lennon-Schule zuständig für Suchtprävention, ist das keine Lösung. „Das Problem ist lediglich nach draußen verlagert worden“, sagt sie. „Die Schüler der Sekundarstufe 2, die das Gelände verlassen dürfen, rauchen eben draußen, genau wie die Lehrer“, so die Pädagogin.
Ein Problem, das sich Schulleiter Herbert Schkutek noch nie stellte. An seinem Gymnasium, der Charles-Darwin-Oberschule in Mitte, durften Oberstüfler schon immer das Gelände verlassen. Nun rauchen sie eben nur noch außerhalb. Viele Schulleiter halten ein bloßes Verbot deshalb für nicht ausreichend.
Gerhard Rähme fordert etwa eine groß angelegte Anti-Rauch-Kampagne an den Schulen. In seinem Haus, der Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule in Kreuzberg, konnte die Nikotinsucht mit einem internen Ausweis für Schüler ab 16, der den Zugang zur Raucherecke erlaubte, bisher gut überwacht werden. So lief es im vergangenen Schuljahr auch an der John-Lennon-Schule. Doch wenn Elena nun vom Sportunterricht zurückkommt, begegnet sie qualmenden Oberstüflern eben nicht mehr auf dem Hof, sondern abseits der Schule. „Das Problem eines negativen Vorbilds besteht damit für die jüngeren Schüler nach wie vor“, meint deshalb Doris Lamfried.
Ein paar Straßen weiter, im Hof der Kurt-Schwitters-Oberschule, tummeln sich rauchende Schüler auf dem Pausenhof. Hier scheint das Verbot noch nicht zu greifen. Die Lehrer drücken zumeist ein Auge zu, schicken sie lediglich vom Hof. Aber in der hinteren Ecke des Schulhofs wird dennoch gepafft, denn dahin kommt keiner der Aufsichtführenden. Till zieht genüsslich an seiner Selbstgedrehten und grinst. Wo denn da der Sinn läge?
Schließlich sind es nicht nur die Schüler, auch die Lehrer wollen nicht ohne weiteres von der Zigarette lassen. Entsprechend schwer tut sich die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mit einer Aussage. „Wir haben zu diesem Thema keine klare Position“, gesteht Sprecherin Sigrid Baumgart. „Ich verstehe, dass Lehrern eine Verantwortung als Vorbild zukommt. Ich verstehe aber auch, dass sich ein gestandener Kollege, der jahrelang raucht, sich durch das Verbot bevormundet fühlt“, sagt Baumgart.
Wer das Rauchen nicht lassen will, den nervt das Gesetz nur. Den guten Willen bringen an der Nikolaus-August-Otto-Schule Schüler und Lehrer mit. „Wir haben das Haus schon vergangenes Schuljahr für rauchfrei erklärt“, sagt der stellvertretende Leiter Wolfgang Schumann. An der Hauptschule in Lichterfelde können Pennäler wie Pauker ihre Sucht mit Schokolade oder mit Bewegung beim Basketball substituieren. Nur dem Hausmeister fällt der Verzicht nicht so leicht. „Doch auch er gibt sich große Mühe“, sagt Schumann.