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PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCHKevin Kuranyi, der Präsident und ich

Der Fußballer will vor meiner Haustür einen Remmidemmi-Schuppen bauen. Das sollte er besser bleiben lassen

Einmal traf ich mit dem Ei aus meinem Küchenfenster genau die Dachmitte eines schwarzen Golfs. Der Fahrer stieg aus, schaute verdutzt in den Himmel und fuhr weiter. Bei Aldi gibt es zehn Eier aus Bodenhaltung für 69 Cent. Ich lasse sie zwei Wochen in der Sonne stehen, dann sind sie gebrauchsfertig.

Man könnte mir vorhalten, dass ich freiwillig hierher gezogen sei. Dass es auch andere, ja viel ruhigere Wohngegenden gibt, die nicht direkt an einer Ampelkreuzung und genau gegenüber einer 24-Stunden-Shelltankstelle liegen. „Aber“, sage ich, „ich bin doch aufs Land gezogen, um Ruhe zu haben, in ein Dorf, dessen Name so abwegig ist, dass ein jeder Fahrkartenverkäufer der Bahn mitleidig dreinschaut, als wolle er sagen: Ist nicht so schlimm, das wird schon wieder.“ Das Dorf heißt „Kirchentellinsfurt“. Früher noch mit „h“ am Ende. Aber den 19. Buchstaben haben sie bei der letzten Rechtschreibreform 1901 gestrichen. So menschlich waren sie damals.

Basslautsprecher und quietschende Reifen beim Anfahren an der Ampel vor meinem Küchenfenster bilden die Hintergrundmusik zu diesem Artikel, der davon handelt, wie ich vor zwei Tagen die erste Bürgerinitiative meines Lebens gründete. Mein Gegner ist stark. Sehr stark. Es ist kein Geringerer als der Fußball-Nationalspieler Kevin Kuranyi vom VfB Stuttgart. Kuranyi und sein Vater wollen vor meiner Nase, also direkt vor meinem Küchenfenster, die größte Diskothek der Region bauen. Ich bin dagegen. So viele Hühner kann Aldi gar nicht am Boden halten, wie ich dann Eier werfen müsste.

Aber ganz wehrlos sind wir nicht, ich und der Präsident. Immerhin ist mein Nachbar Präsident der Universität Tübingen, und auch er mag keine quietschenden Autoreifen, keine Basslautsprecher und nicht diesen Müll jeden Morgen vor der Haustür. Ja, da sind wir beide ein wenig spießig.

Ein wenig peinlich ist es mir allerdings schon. Früher hatte ich gegen Atomkraft und gegen Studiengebühren demonstriert. Heute engagiere ich mich gegen Diskos. Vielleicht hätte ich Kuranyi ja noch eine Chance gegeben, wenn er in seinem Remmidemmi-Schuppen einmal in der Woche einen Tanzabend für Senioren vorgesehen hätte. Stattdessen will er 2.000 Jugendliche Nacht für Nacht bewirten. Mit den bekannten Folgen.

Der Präsident und ich saßen am Mittwoch dieser Woche im Wohnzimmer einer alten Villa von Kirchentellinsfurt und besprachen unsere Taktik. Unterschriften sammeln, Flugblatt entwerfen, den Bürgermeister anschreiben, das Übliche eben, „und in der nächsten Gemeinderatssitzung hinten sitzen und sehr laut schweigen“, sagte der Präsident. „Nicht lieber ein wenig Rabatz?“, wendete ich ein. Aber Professor Eberhard Schaich, Präsident wie gesagt der Universität und als Mitglied der Christlich Demokratischen Union in derlei Dingen besser erfahren, sagt nur: „Nein, kein Rabatz, nur laut schweigen.“ Mir gefiel nach einigem Nachdenken dieses „sehr laut schweigen“, und ich stellte mir vor, wie die Herren und Damen Gemeinderäte vor der Stille im Ratssaal erzittern und sich denken: „Oh Gott, wenn die erst zu reden anfangen!“ Und dann werden sie die Diskothek ablehnen und Kirchentellinsfurt wird doch ein Dorf bleiben und lange wird man sich noch erzählen, wie aus Kirchentellinsfurt dank Kevin Kuranyi fast einmal eine Großstadt geworden wäre, hätte nicht diese Bürgerinitiative so brutal geschwiegen.

Morgen spielt der VfB Stuttgart gegen die Nationalmannschaft aus Weißrussland. Ich drücke den weißen Russen die Daumen. Hauptsache jedenfalls, dass Kuranyi kein Tor schießt. Er soll nur noch ein Tor in seinem Leben schießen. Ein Eigentor in Kirchentellinsfurt.

Fragen zu faulen Eiern? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried über CHARTS

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