Blind Date im Wellensalat

Beim Streit darüber, ob Mobilfunk schädlich ist, ist kein Ende abzusehen – zur Erleichterung von Forschern, Firmen und Politikern. Umweltinstitut: Firmen sollen für Gesundheitsschäden haften

von GERNOT KNÖDLER

Matthias Timmler fing an, sich intensiv mit dem Thema Mobilfunk auseinanderzusetzen, als die Sendeanlage auf dem Hochhaus nebenan ausgebaut wurde. Die Monteure installierten drei neue Sende-Antennen, die alle auf Timmlers Wohnung in den Walddörfern zeigten. Kurze Zeit später hatte er „Probleme mit den Knochen“, einen „rheumaähnlichen Effekt“, den ihm kein Arzt erklären konnte. Er selbst führt seine Beschwerden auf die Anlage zurück, obwohl sie inzwischen abgeklungen sind und die Anlage noch steht.

Ähnlich wie Timmler ängstigen sich viele Menschen in Deutschland vor den elektromagnetischen Wellen, die von Handys und Mobilfunkanlagen ausgehen. Die Sorge, die eine repräsentative Umfrage des Bundesumweltministeriums ans Licht brachte, hat das Verwaltungsgericht vor einem Monat bei der Ablehnung einer UMTS-Anlage in der Hallerstraße aufgegriffen: Die Anlage sei gewerblich und dürfe als solche in einem Wohngebiet nur aufgebaut werden, wenn sie nicht störe.

Selbst eine Glühbirne schickt Wellen aus

Neben der allgemeinen Besorgnis gibt es eine Gruppe von Menschen, die davon überzeugt sind, dass sie der elektromagnetische Wellensalat, in dem wir heute leben, krank macht. Waschmaschine, Elektroherd, Mikrowelle, Fernseher, Radio, Nachtspeicherheizung, Computer, schnurloses Telefon, Handy – sie alle schicken elektromagnetische Wellen in ihre Umgebung. Selbst eine Glühbirne tut das. Dass die Krankheiten der „Elektrosensiblen“ tatsächlich auf elektromagnetische Wellen zurückzuführen sind, darüber gibt es keinen wissenschaftlichen Konsens.

Es gibt Forscher, wie Jiri Silny vom Forschungszentrum für Elektro-Magnetische Umweltverträglichkeit (Femu) an der RWTH Aachen, die jahrelang vergeblich versuchten, entsprechende Zusammenhänge nachzuweisen: Noch gab es keinen Probanden bei ihren Tests, der zuverlässig angeben konnte, wann eine verborgene Elektroquelle angeschaltet war. Michael Braungart vom Hamburger Umwelt-Institut (HUI) dagegen will bei seinen Studien auf Menschen gestoßen sein, die den Unterschied merkten.

Biologische Effekte nachgewiesen

Braungart glaubt, das es gute Gründe dafür gibt, dass es bisher keinen wissenschaftlichen Konsens über die gesundheitliche Wirkung elektromagnetischer Felder, insbesondere des Mobilfunks gibt: „Forscher, Firmen und Politiker profitieren“, sagt er. „Solange kontrovers geforscht wird, gibt es keine Haftungsprobleme.“ Den Forschungseinrichtungen gehen die Aufträge nicht aus, und die Politiker können es sich leisten, nicht zu handeln.

Das zentrale Argument des Professors lautet, dass der Mobilfunk mit den gleichen Frequenzen arbeitet wie die Prozesse im menschlichen Körper. „Es gibt keinen Zweifel daran, dass enzymatische Gleichgewichte verändert werden“, sagt Braungart. Elektromagnetische Felder könnten die Eigenschaften von Molekülen stark verändern, selbst wenn sie deren Aufbau nicht antasteten.

Die Kommission für Technologiefolgenabschätzung des Deutschen Bundestages ist vorsichtiger: Sie spricht von „biologischen Effekten“, die aber nicht zwangsläufig negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben müssten. Die 20.000 wissenschaftlichen Primärstudien zu dem Thema führten nicht zu einem eindeutigen Ergebnis. Relativ einig sei sich die Fachwelt darüber, dass biologische Effekte etwa in der Blut-Hirn-Schranke nachgewiesen worden seien. Und darüber, dass ein Handy am Kopf schlimmer ist als eine Sendeanlage auf dem Dach, bestehe sogar große Einigkeit.

Nachgewiesen ist eine Erwärmung des Körpergewebes etwa so wie im Mikrowellenherd. Hierauf beziehen sich die Grenzwerte der Internationalen Kommission zum Schutz vor nicht ionisierender Strahlung (ICNIRP). Ob es darüber hinausgehende Effekte gibt, sei unklar.

„Einerseits haben Kritiker darauf hingewiesen, dass sich die Beobachtung von Effekten schwacher Strahlung bislang nicht replizieren ließ“, schreibt die Kommission. „Andererseits kann nicht zweifelsfrei erwartet werden, dass athermische Effekte so stabil sind wie thermische Effekte, oder dass exponierte Personen in gleicher Weise auf die schwache Strahlung reagieren.“ Alles offen also. Die Bundesregierung hat vergangenen Donnerstag ein mit 8,5 Millionen Euro dotiertes Forschungsprogramm über gesundheitliche Risiken des Mobilfunks aufgelegt. Die Netzbetreiber haben noch einmal die gleiche Summe zugesagt.

Braungart behauptet, dass es einen einfachen Weg gebe, zu einer realistischen Einschätzung des Risikos zu kommen. „Die Handy-Industrie soll eine Haftungsgarantie abgeben“, schlägt er vor. Sobald es etwa eine Häufung von Krebsfällen in der Nähe von Sendemasten gebe, müsste die Industrie Entschädigungen bezahlen. Die Firmen würden sich dagegen versichern und die Versicherungen das Risiko ermitteln. Die Industrie lehne es jedoch ab, verschuldensunabhängig zu haften. „Das sagt mir, dass diese Risiken neu bewertet werden müssen“, so Braungart.

Experte fordert mobilfunkfreie Zonen

Der Professor leugnet nicht den Nutzen und die Freiheiten, die das Handy mit sich bringt. Er hat selbst eines. Doch er glaubt, dass derjenige, der wegen des Risikos darauf verzichten möchte, die Möglichkeit haben muss, den Wellen des Mobilfunks zu entgehen. Er fordert mobilfunkfreie Zonen und Landkarten, die die Intensität der elektromagnetischen Felder angeben.

Matthias Timmler hat auf diesem Gebiet einen kleinen Sieg errungen. Zwar hatte seine Korrespondenz mit Umweltamt und Baubehörde nicht den gewünschten Effekt. Timmlers Vermieter jedoch, der auch das Hochhaus vermietet, hat reagiert. „Ich habe mich mit der Hausverwaltung geeinigt, dass dieser Standort Ende des Jahres aufgegeben wird“, erzählt er.