: Der rosa Affe Berlin
Die ruppige Schönheit unserer Stadt: Der Bär tobt, die Partys glänzen und dank der Armut werden alle noch visionärer. Wetten, dass es bald auch der Musikindustrie wieder besser geht?
von INGA KÖNIGSTADT
Wow, eben klingelte mein Telefon und die taz war dran und fragt mich ob ich Lust hätte, wat zu schreiben, für den Kulturteil einer Sonderausgabe der Zeitung … ob ich Lust habe?! Ich platze fast vor Freude und fange also an, loszuschreiben.
Über mich und Berlin, Jetzt/Zukunft und Kultur soll’s gehen … o. k., gerne, das sind ja einige meiner Lieblingsthemen, dazu hab ich viel zu erzählen: BERLIN, BERLIN, du bist so wunderbar … Berlin ist meine Stadt! Bzw. sage ich immer dann, wenn man mich über Berlin ausfragt: „ICH BIN BERLIN!“
Denn Berlin zeichnet sich nicht wie andere Städte in der Welt über eine besondere Architektur, großartige Sehenswürdigkeiten, das Wetter oder die kulinarischen Genüsse aus, sondern über die Menschen in dieser großartigen, riesigen, schmutzigen, unüberschaubaren, schönen, unterschiedlichen, eigensinnigen, hässlichen, besonderen, armen, grauen, kunstvollen, bunten, kalten, kreativen und schnellen Stadt aus.
Wenn man sich einmal in Berlin verliebt hat, hält diese Liebe für ewig an. Es ist schwierig, sich die Liebe Berlins für jeden einzelnen Bewohner vorzustellen. Doch spürt man diese Liebe, sobald man etwas länger die Stadt verlässt und dann, ganz bald, vermisst … mir geht es jedenfalls so. Ich versuche immer ganz weit weg zu reisen, um mich ihrem Sog zu entziehen, denn dieser Sog ist schön und heftig. Ja manchmal kann er einem auch ganz schön zusetzen.
Das Glänzen der Partys bei Nacht, das Spielen in den Cafés und in den Straßen im Sommer, das Leben im Allgemeinen, das Genießen der Freiheit der Armut, so gut wie in keiner anderen Stadt, die ruppige Schönheit der Stadt, die vielen Menschen, die man so sehr liebt und braucht.
Die Freunde, die dich nicht schlafen lassen, immer auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer, denn wir Berliner langweilen uns schnell, verwöhnt sind wir durch die Attraktionen, die wir uns selbst ununterbrochen inszenieren.
Man kann nicht wirklich ohne diese Stadt leben, wenn man sich ihr einmal hingegeben hat. Momentan tobt der Bär wie immer in Berlin, obwohl ich auch eine noch besondere, aufbrechendere Energie als in den letzten 5 Jahren spüre. Was meine ich damit? Die Armut hat sehr stark zugenommen, viele kreative und clevere Menschen finden keine Jobs mehr, viel mehr als zuvor kämpfen sie für ihr Überleben und die meisten von ihnen geben nicht auf, sind noch visionärer als früher.
Die Stimmen der Veränderung werden lauter und lauter, die Fragen werden konkreter und die Aufgaben, sich selbst und der Welt gegenüber, größer und bewusster! Eine Kunstaktion, die mich gerade sehr beschäftigt, ist auf dem besten Wege, jene Fragen nach dem Warum – oder besser: worum geht es in unser aller Leben, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Diese Aktion heißt ANGEFANGEN und ist initiiert vom R.O.T.-Künstlerkollektiv. ANGEFANGEN stellt die Frage in unserer durch oberflächliche Marken, Style & Konsum bestimmten Lebensweise, nach den wirklichen Werten, die unser persönliches Glück ausmachen.
Außerdem beschäftigt sich ANGEFANGEN auch mit einer neuen Identität für Deutschland, ein guter Start dafür war, dass 85 % aller Deutschen gegen den Irakkrieg waren und hunderttausende für den Frieden. ANGEFANGEN ist eine offene Plattform, bei der jeder mitmachen kann, ob Künstler oder nicht, jung oder alt, deutsch oder nicht deutsch. Das Ziel dieser Aktion ist es, die Menschen weltweit für ein bewussteres zwischenmenschliches Miteinander zu sensibilisieren. Also macht alle mit! (www.angefangen.de)
Auch absolut bewundernswert ist die Kunst der urbanen Kommunikation in Berlin. Egal wo du hinguckst, deine Augen sowie der Verstand sind beschäftigt, die großartigen, kreativen, witzigen Kustwerke in sich aufzunehmen und zu verstehen oder sich daran zu erfreuen oder darüber nachzudenken. (Scherenschnitte von Swoon oder Schablonenart oder ausgeschnittene riesige Hundeköpfe mit dem Wort paile darunter).
Eine dieser Streetartgeschichten, die wahrscheinlich jedem aufgefallen ist, der sich zu der Farbe Pink hingezogen fühlt oder aber auch nicht, ist „der rosane Affe“. (www.kazik.net). Berlin ist rosa und es gibt fast keinen Platz mehr, wo dir nicht „der rosane Affe“ frech und herausfordernd – grinsend mit gestrecktem Mittelfinger – entgegenspringt.
Wirtschaftlich wird es der Stadt vielleicht bald besser gehen. Eventuell zumindestens den Musikschaffenden der Stadt. MTV hat sich mittlerweile auch schon entschlossen, als Allerletzter, dicht gefolgt von VIVA, seinen Hauptsitz nach Berlin zu verlegen, und das gesunkene Schiff Popkomm versucht eine allerletzte Rettungsaktion mit ihrem Wechsel zu uns in die schöne Hauptstadt.
Wo das mit der Popkomm in Berlin hingehen wird, ist ungewiss, aber zu hoffen ist, dass es kein zweites Major-wir-sind-die Größten-Gehabe und Feier-VIP-Angegeberstyle mit peinlichem Berliner Ringfest wird, sondern die Verantwortlichen der Messe Berlin sich bemühen, nicht alle zufrieden zu stellen, sondern ganz genau den Indies zuzuhören. Denn die Indies machen die Musik der Gegenwart und Zukunft und die Majors sind absterbende Dinosaurier. Die Zukunft gehört den schnellen, flexiblen, gut organisierten bunten Schmetterlingen namens Indies.
Ja und Berlins Zukunft?! Wolkenkratzer am Alex? Vielleicht. Das Meer vor der Tür? Höchstwahrscheinlich leider niemals. Und glückliche Menschen in unserer Stadt? In jedem Fall! Berlin ist wie der Milchschaum auf dem Frühstückskaffee, man kann ohne ihn leben, wird also nicht sterben, wenn er fehlt, aber der Kaffee schmeckt nur halb so gut ohne ihn … und eigentlich ist er das Beste am ganzen Kaffee! Ein Hoch auf Berlin!