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Archiv-Artikel

Der Linke mit dem feinen Tuch

EL SALVADOR

Es ist der kleinste und zugleich dichtestbesiedelte Staat Zentralamerikas. Rund 4,2 Millionen wahlberechtigte Salvadorianer sind am kommenden Sonntag aufgerufen, ihren Präsidenten zu wählen. Mittlerweile konkurrieren nur noch der Fernsehjournalist Mauricio Funes für die linksgerichtete FMLN (Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí) und der frühere Polizeichef Rodrigo Ávila für die Arena (National-Republikanische Allianz) um das Präsidentenamt, die anderen Parteien haben ihren Kandidaten zurückgezogen und Wahlempfehlungen für Ávila abgegeben. Diese könnten den prognostizierten Vorsprung von Funes zumindest deutlich verringern. Seit Ende des blutigen Bürgerkriegs 1992 hat stets die Arena den Präsidenten gestellt, die FMLN wiederum besetzte oft den Posten des Bürgermeisters in den großen Städten. Bei den Parlamentswahlen im Januar 2009 wurde die FMLN stärkste Partei. Seit Januar 2001 ist der US-Dollar offizielle Landeswährung. TAZ

AUS SAN SALVADOR TONI KEPPELER UND CECIBEL ROMERO

Wäre Mauricio Funes heute noch immer derjenige, der er vor ein paar Jahren war, würde er den Präsidentschaftskandidaten der Linken so richtig in die Zange nehmen. Fast zwei Jahrzehnte war Funes der mit Abstand bekannteste Fernsehjournalist in El Salvador. Das kritische Gewissen des zentralamerikanischen Landes. So etwas wie Sabine Christiansen, Anne Will, Hanns Joachim Friedrichs und Ulrich Wickert in einer Person. 18 Jahre lief seine Interviewsendung jeden Werktag. Ganz sicher hätte der Journalist Funes den Kandidaten Funes gefragt, wer denn nun eigentlich das Sagen habe: er oder die Partei. Und warum er den Bauern im Hinterland verspricht, den Bau eines Stausees zu stoppen, während er in der Hauptstadt den Weiterbau propagiert.

Doch solche Fragen bleiben ungestellt. Mauricio Funes ist nicht mehr Journalist, sondern Politiker. Als frisch gebackenes Parteimitglied der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) kandidiert er für seine Partei im Präsidentschaftswahlkampf. Was für ein Gespann: der Kandidat mit gemäßigt sozialdemokratischem Profil und die ehemalige Guerilla, die den Sozialismus als Endziel im Programm hat.

Mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Funes hat die FMLN zum ersten Mal die Chance, durch Wahlen an die Macht zu kommen. Die letzten beiden Male war sie mit ehemaligen Comandantes aus dem Bürgerkrieg angetreten, und die hatten nicht einmal das feste Wählerpotenzial der FMLN ganz ausschöpfen können. So gewann in El Salvador immer wieder die ultrarechte Arena. Die von Roberto D’Aubuisson, dem berüchtigten Organisator der Todesschwadronen, gegründete Partei hat sich nie von ihren Ursprüngen distanziert. Dennoch führte bislang in Meinungsumfragen die Arena stets klar vor der FMLN. Das änderte sich schlagartig, als im September 2007 Funes auf den Plan trat.

Knapper Vorsprung

Seither hat die FMLN aufgeholt, überholt und schien mit fast 10 Prozentpunkten Vorsprung vor der Arena uneinholbar. Weit abgeschlagen rangierten noch ein paar kleine Mitte- und Mitte-rechts-Parteien. Nun sind alle Kandidaten aus dem Rennen ausgestiegen, außer Funes und dem Arena-Kandidaten Rodrigo Ávila, einem früheren Polizeichef des Landes. Die letzten Umfragen fielen immer noch günstig für Funes aus, aber es könnte knapp werden am nächsten Sonntag.

Wie kommt ein durch seine Unabhängigkeit bekannt und glaubwürdig gewordener Fernsehjournalist dazu, Präsidentschaftskandidat einer Linkspartei zu werden? Durch einen ihm seit Jahren verbundenen Freund, den alten FMLN-Kader Hato Hasbún. In der Partei stand Hasbún nie in der vordersten Reihe. Aber er zog stets im Hintergrund die Fäden. Kaum hatte sich Funes als junger Journalist im Bürgerkrieg einen Namen gemacht, weil er als Erster Guerilla-Comandantes zu interviewen wagte, holte ihn Hasbún als Leiter der Videodokumentarstelle an die regierungskritische Zentralamerikanische Universität. Hasbún war damals für die internationalen Kontakte der Universität verantwortlich. Als Sohn palästinensischer Einwanderer hatte er beste Kontakte zur starken palästinensischen Unternehmergruppe El Salvadors, und so gelang es ihm, Funes 1992 als journalistischen Programmdirektor im Fernsehkanal seines palästinensischen Freundes Jorge Zedán zu platzieren. Dort wurde Funes zum Star – glaubwürdig wegen seiner journalistischen Qualitäten, aber auch glamourös wegen seiner Eitelkeit. Der 49-Jährige liebt feines Tuch und dezente Krawatten; er ließ sich als Fernsehmann von einem Luxusherrenausstatter sponsern. Er trägt eine Designerbrille und hat das Haar im Obama-Stil kurz geschoren.

In der Parteizentrale der FMLN sieht man Poster von Funes nur im Erdgeschoss. Oben im ersten Stock, im Saal, in dem die Parteiführung tagt, hängen historische Fotos von dem nicaraguanischen Freiheitshelden Augusto César Sandino und seinen salvadorianischen Gegenstück Farabundo Martí an der Wand. Dazwischen Porträts von Hugo Chávez und Nicaraguas Daniel Ortega, den beiden härtesten unter den linken Präsidenten Lateinamerikas. Auch der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva ist mit einem kleinen Foto vertreten, allerdings nicht an der großen Front, sondern im Eck, gleich neben dem Eingang zum Klo.

„Es ist ein Eiertanz auf Messers Schneide“, gibt Generalsekretär Medardo González zu. „Unsere Basis ist es nicht gewohnt, einem Fernsehstar zu folgen. Sie will einen echten Anführer. Mauricio muss ihr Vertrauen erst gewinnen.“ González hatte Funes fast im Alleingang zum Kandidaten gekürt, um lange Grabenkämpfe wie früher zu vermeiden. Noch hält die Parteibasis zu ihm. „Sie alle wollen endlich einen Regierungswechsel und der geht nur mit Mauricio.“ Ein paar mittlere Kader murren.

Vorbild da Silva

Auch González räumt ein, dass er „einiges schlucken“ müsse. So ist bis heute kein Schattenkabinett bekannt, und man kann davon ausgehen, dass im Hintergrund hart um Posten gerungen wird. Am Ende wird eher der Kandidat siegen als die Partei, denn er braucht zum Regieren Allianzen. Aus der Parlamentswahl im Januar ging die FMLN zwar als stärkste Fraktion hervor, aber längst nicht mit absoluter Mehrheit. Funes wird, so er gewinnen sollte, auch als Präsident ein Mann der Mitte bleiben müssen, offen selbst für die gemäßigte Rechte. So wie Lula da Silva in Brasilien, der sich seine Mehrheiten auch gegen Teile der eigenen Arbeiterpartei suchen musste.

Würde in diesem Fall die Parteibasis noch hinter Funes stehen? So weit wird es nicht kommen, hofft González. Denn zwischen Funes und der Partei steht Hato Hasbún. „Ohne ihn wäre Mauricio nicht Kandidat geworden. In Hato habe ich Vertrauen.“ Er müsse die Einheit herstellen zwischen Präsident, Fraktion, Partei und sozialen Bewegungen. Und wenn nun diese Einheit zerbricht, bevor sie zustande kommt? Wenn Funes als Präsident dieselbe Distanz zur Partei wahrt, die bei der Werbung um die Stimmen der Mitte opportun sein mag? Der Generalsekretär ist sich des Risikos bewusst. Sein Einsatz ist hoch: „Wir setzen das Vertrauen aufs Spiel, das die Basis in die Parteiführung hat.“

Schon einmal, vor fünf Jahren, hatte Hasbún versucht, Funes als Präsidentschaftskandidaten der FMLN zu lancieren. Doch er scheiterte am damals uneingeschränkten Parteiherrscher Schafik Handal, der selbst antrat und dann verlor. Handal ist vor drei Jahren gestorben, und die FMLN hat inzwischen eingesehen, dass sie nur gewinnen kann, wenn sie die Stimmen der politischen Mitte gewinnt. Dafür ist Funes der ideale Kandidat. Und das nicht nur, weil die Mädchen kreischen, als träte Brad Pitt auf, wenn er zu einer Wahlkampfveranstaltung aufs Land kommt.

Funes erschreckt die Salvadorianer nicht, wie es die Comandantes der ehemaligen Guerilla auch 17 Jahre nach Ende des Bürgerkriegs noch tun. Seine Vergangenheit ist nicht mit Blut befleckt, und so ist er nur schwer angreifbar. Die Ängste schürende Kampagne der Arena und der fast durchweg rechten Medien El Salvadors richtet sich deshalb fast ausschließlich gegen die FMLN und kaum gegen ihren Kandidaten. Die Arena beschwört für den Fall eines FMLN-Siegs ein zweites Venezuela herauf. Wer Zeitungen und Fernsehen konsultiert, könnte fast glauben, Hugo Chávez sei der Kandidat der FMLN und nicht Funes.

Denn Funes vertritt eher Positionen, die auch von der Rechten stammen könnten. Er sagt, er werde nichts tun, „was die Beziehungen mit den USA gefährden könnte“. Und: Er will den Freihandelsvertrag zwischen Zentralamerika und den Vereinigten Staaten nicht antasten. Von seiner Partei wurde dieses Abkommen allerdings infrage gestellt. Funes will auch die vor acht Jahren vollzogene Dollarisierung des Landes nicht rückgängig machen, obwohl die FMLN stets die Wiedereinführung der nationalen Währung Colón gefordert hat. Selbst das Amnestiegesetz für im Bürgerkrieg begangene Verbrechen soll nicht aufhoben werden: „Versöhnung erreicht man nicht dadurch, dass man die Verantwortlichen ins Gefängnis schickt. Wir müssen in die Zukunft sehen, und das ist nicht möglich, wenn wir die Tür für Prozesse über Kriegsverbrechen öffnen.“

Neuerdings gibt sich Funes sogar als devoter Christ: „Gott wird uns einen Regierungschef geben, der für die Armen, die Mittelschicht, für alle regiert.“ Kurz vor seiner Ernennung zum Kandidaten hat er seine brasilianische Lebensgefährtin geheiratet. So etwas ist in einem mehrheitlich katholischen Land mit einer lautstarken evangelikalen Minderheit vielleicht opportun. Er hält Distanz zu seiner Partei und umgibt sich lieber mit den „Freunden von Mauricio Funes“, einer Gruppe von Unternehmern und Intellektuellen; sogar ein paar Militärs im Ruhestand sind dabei. Wenn man Funes fragt, welcher Präsident Lateinamerikas am ehesten sein Vorbild sei, nennt er den Brasilianer Lula da Silva: „Auch er wurde dämonisiert als einer, der angeblich die Wirtschaft zerstören würde. Das Gegenteil ist eingetreten. Diesem Beispiel würde ich gerne folgen.“