: Kooperation im Kapitalismus
Die Ökonomin Delal Atmaca kritisiert, dass wirtschaftlicher Erfolg in Deutschland mit Einzelkämpfertum assoziiert wird. Dabei ist in strukturschwachen Gebieten gemeinsames Wirtschaften erfolgversprechender als das Warten auf den großen Investor
Interview ANNETTE JENSEN
taz: Genossenschaften spielen in Deutschland bei Unternehmensgründungen eine marginale Rolle. Bei Ihren Forschungen in Ostdeutschland haben Sie festgestellt, dass Banken und Förderstellen häufig von dieser Unternehmensform abraten. Sie sagen: Das ist ein Fehler. Warum?
Delal Atmaca: Weil das Potenzial dieser besonderen Organisationsform völlig unterschätzt wird. Jahrelang war man in Ostdeutschland nahezu völlig fixiert auf mögliche Investoren aus dem Westen. Oft setzten regionale Wirtschaftsförderer ihre Energie primär dafür ein, sich gegenüber anderen Regionen als vorteilhafter Standort darzustellen. Auch die gesamte Förderpolitik zielte in diese Richtung. Inzwischen ist klar, dass dieser Ansatz teuer und zu großen Teilen verfehlt war.
Die Zeiten der Ansiedlung großer Industriebetriebe, bei denen es tausende Arbeitsplätze auf einen Schlag zu gewinnen gab, ist passé. Im Westdeutschland der 50er- und 60er-Jahre mag das ein erfolgreicher Ansatz gewesen sein. Aber Epochen lassen sich nun einmal nicht kopieren. Heute in Zeiten von 4,7 Millionen Arbeitslosen sind aktive Selbsthilfe, kooperative Unternehmensformen und Unterstützung für den Aufbau kleiner Betriebe viel zeitgemäßer
Warum?
Weil kooperative Formen sowohl bei der Beschaffung als auch beim Absatz häufig nachweisbare wirtschaftliche Vorteile haben. Dies gilt für formale genossenschaftliche Kooperationen wie für eher informelle Kooperationen gleichermaßen. Aber in Deutschland herrscht noch immer die Vorstellung, dass Kapitalismus und Konkurrenz untrennbar miteinander verknüpft sind. Unsere Erziehung trichtert uns ein, dass wirtschaftlicher Erfolg allein auf Wettbewerb und Einzelkämpfertum basieren kann. Doch es gibt viele Beispiele, die belegen, dass Kooperation zu wirtschaftlichem Erfolg führen kann.
Sind das aber nicht eher Nischenphänomene?
Nicht notwendigerweise. So zählen etwa die Übersee-chinesischen Netzwerke, die von Chinesen gebildet werden, die außerhalb ihres Heimatlandes leben, zu den erfolgreichsten Unternehmen der Welt, weil sie innovative Ideen schnell umsetzen können.
Die Umsetzung jeder neuen Geschäftsidee ist mit Risiken verbunden – schließlich wird Neuland betreten. Wer hier investiert, tritt in Vorleistung. Niemand kann wissen, ob der Markt das Neue annimmt. Aber wenn es „einschlägt“, dann gibt es einen Zeitvorteil gegenüber der Konkurrenz. Diese Zeitspanne, bis erste Nachahmer auf den Plan treten, muss genutzt werden, um Gewinne zu erzielen und bereits an Verbesserungen zu arbeiten. Gerade unter diesem Zeitdruck haben sich die Übersee-chinesischen Netzwerke gegenüber europäischen Unternehmen vielfach als überlegen erwiesen.
Aber gemeinsame Entscheidungen zu finden ist doch viel zeitaufwändiger.
Nein. Die Entscheidungsfindung bei europäischen Unternehmen dauert wegen der langwierigen Risikoabschätzung oft zu lange. Die Übersee-chinesischen Netzwerke investieren schneller, weil das Risiko auf mehrere Schultern verteilt wird. Zwar müssen die Beteiligten bei Erfolg auch den Gewinn teilen. Aber die Wahrscheinlichkeit des Gewinns ist insgesamt größer, weil schlicht mehr ausprobiert werden kann.
Zurück zu den Genossenschaften in Deutschland. Sie halten sie für eine besonders aktuelle Unternehmensform in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und insbesondere in strukturschwachen Gebieten. Warum?
Was der Einzelne nicht schafft, ist manchmal mit anderen gemeinsam zu schaffen. Es kann dabei um verschiedenste Aktivitäten gehen: kaufen, verkaufen, wohnen, arbeiten. Genossenschaften sind für viele Bereiche geeignet, wo Menschen Mitverantwortung und zugleich Mitentscheidung übernehmen wollen. Und genau das ist nicht zuletzt wichtig für eine erfolgreiche Regionalentwicklung: Das Potenzial vor Ort nutzen und nicht auf externe Hilfe hoffen – die Politik oder den großen Investor.
In Produktivgenossenschaften wird der Arbeitnehmer zum Mitunternehmer. Das liegt ja eigentlich ganz im Trend moderner Managementtheorien.
Wie wahr – für Leute aus der Kooperationsforschung findet sich da viel alter Wein in neuen Schläuchen. Allerdings geht es bei vielen der auf mehr Eigenverantwortung zielenden neuen Managementtheorien letztlich darum, Mitarbeiter zu Mitunternehmern zu machen – ohne sie allerdings entsprechend am Gewinn und den relevanten Entscheidungen zu beteiligen. In Produktivgenossenschaften sind die Mitarbeiter dagegen wirklich beteiligt. Individuelle und Gesamtverantwortung gehen Hand in Hand, Solidarität bleibt kein leeres Schlagwort.
Was heißt das konkret?
Bei meinen Forschungen in Ostdeutschland habe ich eine Reihe von Genossenschaften kennengelernt, deren Mitglieder in Krisenzeiten Lohnverzicht übten und unvergütete Mehrarbeit leisteten, um alle Arbeitsplätze zu halten. Dass dies viele Gewerkschafter auf die Palme bringt, zeigt nur, dass die Zweiklassengesellschaft bei der Gewerkschaftspolitik bereits Realität ist: Arbeitsplatzbesitzer auf der einen und Habenichtse auf der anderen Seite.