Ehrlich, glaubhaft, deutsch

Es ist doch so: Nicht nur Kinder, sondern auch erwachsene deutsche Musikfans wünschen sich ihre Idole am liebsten aus Deutschland und bevorzugt mit deutschen Ideen, Texten und Sendungen. Ein Plädoyer für die gesetzliche Quotenregelung für deutsches Liedgut, vor allem aber für die „Quote im Kopf“

von RALPH SIEGEL

C’est le ton qui fait la musique: Der Ton macht die Musik, sagt ein altes französisches Sprichwort – aber was wäre die Musik ohne die Sprache, ohne die Texte, die von Dichtern erdacht und von Sängern seit Hunderten von Jahren gesungen und vorgetragen werden? So geschehen seit Sängergedenken in allen nur möglichen Musikbereichen – weltweit von Mozart, Beethoven, Verdi, Puccini, Gounod bis zu Elton John, Eros Ramazotti, Lennon/McCartney, Jacques Brel, Mikis Theodorakis, Norbert Schulze und Herbert Grönemeyer. Alle schrieben ihr Oeuvre in der Muttersprache, was eigentlich ganz natürlich war und ist, da ja jeder verstehen soll und will – was der Künstler zu sagen hat bzw. zu singen!

Wäre da nicht der 2. Weltkrieg gewesen – hätten die Briten und Amerikaner nicht den Krieg gewonnen, hätte es auch keinen AFN oder BFN etc. gegeben, keine englische oder amerikanische Schallplattenfirma, und Europa wäre mit Sicherheit künstlerisch und besonders sprachlich bei seinen ursprünglichen Wurzeln geblieben. Nun möchte ich auf keinen Fall behaupten, dass uns der musikalische Einfluss besagter Länder nicht gut getan hat und dass es uns nicht das Herz erfreut, alle Supersongs von all den vielen echten Superstars der ganzen Welt zu hören – Glenn Miller, Bill Hailey, Elvis, Duke Ellington, Diana Ross, Mahalia Jackson aus den Staaten sowie aus Great Britain die Beatles, Rolling Stones, Tom Jones und Engelbert taten in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren das Ihre, um die Herzen der Programmgestalter, Musiker und damit auch das junge deutsche Publikum zu erobern. Auf nach England und Amerika – „We have new Friends“, neue Idole und die inzwischen etablierten ausländischen Plattenfirmen karrten alle nur möglichen Programmpropheten aus Funk und Fernsehen zu den Konzerten in die Royal Albert Hall nach London und, wenn nötig, auch in die USA. Wer was galt in der Medienlandschaft hatte seine „Connections und Contacts“ dort, und kümmerte sich weniger um „Good Old Germany“. Es war, einfach gesagt, viel spannender, interessanter und zweitens auch weltoffener, zukunftsorientierter und ab und zu auch lukrativ. Und so war es auch irgendwann selbstverständlich, dass die neuen „Buddies“ nicht nur im Rundfunk, sondern auch im Fernsehen so oft wie nur möglich zu hören und zu sehen waren. Man kann es auch niemandem übel nehmen, der mit Deutschlands Nachkriegsschlagern à la „Schützenliesl“, „Wer soll das bezahlen“ oder „Humptatäterää“ aufwachsen musste.

Die Folge war klar, der Anteil der englischen Sprache in den Radio und TV-Sendungen stieg dementsprechend an und natürlich sank kongruent dazu das deutschsprachige Lied mit seinen Interpreten und Autoren. Ebenso verhielt es sich mit den Verkaufszahlen bzw. Umsätzen! Zunächst no problem – der Gesamtumsatz steigerte sich dennoch und alle Industriefirmen rieben sich die Hände, besonders als die Privatisierung von Radio und TV noch weiter zur Vermarktung von – mittlerweile – CDs und DVDs enorm beitrug. Bis zu der großen Ernüchterung, als das Internet, die damit verbundenen MP3-Downloads sowie das Brennen zum Privatbedarf dem gesamten Markt unendliche Einbußen bescherten und für die letzten deutschsprachigen Künstler schon fast das Aus bedeuteten.

Nur wenige von Viva und MTV auserkorene deutschsprachige Rock/Pop- und HipHop-artists konnten sich halten. Allein mit Grönemeyer, Westernhagen, den Toten Hosen, Xavier Naidoo, Glashaus, Blumfeld etc., Tic Tac Toe und Thomas D, mit den Fantastischen Vier (die mit „Ich find Dich Scheiße“ und „Sie ist weg“ die deutsche Sprache wieder schulhoffähig machten) sowie ein paar Eintagsfliegen und Seifenopernstars war klar, dass damit nur viel zu wenige in den Genuss der für den Verkauf lebenswichtigen Promotionen kamen. Im Radio war und ist der deutschsprachige Anteil bei einigen Stationen auf Null bis fünf Prozent zurückgegangen und die altbeliebten sogenannten Schlagersender spielten oder spielen fast ausschließlich Oldies oder Hits – was nur wenigen Künstlern gelang. Ein bisschen Nicole, Catterfeld oder DJ Ötzi – die Heinz Rudolf Kunzes wie Klaus Lage, P. Werner und Jule Neigel wären fast verschwunden und die wenigen Michelles etc. träumten auch nur noch von alten Tagen! Der hoffnungsvolle Blick nach Frankreich – Kulturminister Jacques Lang hat bereits vor vielen Jahren eine Quotenregelung für französische Künstler und Autoren eingeführt, um den Fortbestand des landeseigenen Kulturguts zu erhalten bzw. zu sichern – fiel auch in Deutschland nur bei wenigen Politikern (ist ja auch nicht „in“ und könnte Wählerstimmen kosten) auf fruchtbaren Boden. Selbst der engagierte Einsatz der CDU-Abgeordneten Martina Krogmann und die Initiative vieler Musikschaffenden hatten bis dato wenig Aussicht auf Erfolg. Doch der liebe Gott, der ja sonst, wie bekannt, in Frankreich lebt, warf einen kleinen Blick auf Deutschland und seine jungen, im Dunkel der Masse verschwindenden, unterbelichteten Talente und aufstrebenden Künstler und schickte uns (und das auch noch aus England und Amerika) als gerechten Ausgleich, einen Rettungsengel mit gleich mehreren Casting-Shows unter dem Arm, um endlich wieder ein Podium für Nachwuchs und solche, die schon lange keiner mehr sind, zu schaffen. Natürlich sang man am Anfang englisch, und zumindest zeigte sich das Unmögliche als machbar: Deutsche Sänger verkauften CDs wie warme Semmeln, allerdings wieder in englisch, obwohl ein Teil davon der englischen Sprache nur halbwegs mächtig war. Es geht also doch, denn nicht nur Kinder, sondern auch erwachsene deutsche Musik-Fans wünschen sich Idole aus den eigenen Reihen, am besten natürlich, wenn sie auch die Inhalte der Songs und Lieder verstehen und somit auch die Message ihres Stars.

Hier kam nun endlich mit viel Engagement und Liebe zum Thema das ZDF gemeinsam mit Endemol ins Spiel und ging vor ein paar Wochen mit der Suche nach der „Deutschen Stimme 2003“ an den Start. Man kann nur hoffen, dass neue Talente (die in ihrer Muttersprache mit voller Kraft an den Start gehen, um in Deutschland Karriere zu machen) von allen in diesem Land lebenden und involvierten Beteiligten unterstützt werden, um einen Weg zu gehen, der sonst in allen Ländern der Normalfall ist. Auch Franzosen singen französisch, Italiener italienisch usw., Amerikaner und Engländer natürlich englisch – und die Deutschen hoffentlich auch in Zukunft wieder vermehrt und somit in ehrlicher, glaubhafter Form: Deutsch!

Nehmen wir die Chance wahr, ohne dabei das Andere auszugrenzen: keine Quotenregelung per Gesetz, sondern die „Quote im Kopf“! Unsere Kinder und Enkel werden es uns danken!

Ralph Siegel 58, ist Deutschlands berühmtester Schlagerkomponist, file under Silver Convention, Katja Ebstein, Roberto Blanco, Nicole, Corinna May etc. Mit Lou gewann er 2003 die deutsche Grand-Prix-Ausscheidung, in Riga aber reichte es nur zu Rang 12.