: AG Sozialdemokraten in der SPD
Rund hunderttausend Mitglieder haben bereits die Partei verlassen. Sie verstehen nicht mehr, was an der Politik Schröders eigentlich noch sozialdemokratisch ist
Als ein führender Berliner Sozialdemokrat, der für seinen feinsinnigen Humor bekannt ist, die Politik der Bundesregierung kritisierte, sagte er: „Ich gründe jetzt eine Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten in der SPD.“ Dabei dachte er sicher auch an die rund 100.000 Mitglieder, die in den letzten Jahren ihre Partei verlassen haben, weil sie nicht mehr wissen, was an der rot-grünen Politik noch sozialdemokratisch ist.
Mit der gleichen Begründung bleiben viele Stammwähler, für mich Sozialdemokraten ohne Parteibuch, bei Wahlen zu Hause. Die jetzige SPD-Führung verteidigt sich gegen derartige Vorwürfe und behauptet, ihre „Reformpolitik“ sei sozial und gerecht. Der Blick auf die Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität hilft bei der Klärung der Frage, was sozial und demokratisch ist, nicht weiter. Auch andere Parteien nehmen diese Werte in Anspruch. Wie so oft ist die Wahrheit konkret.
Beginnen wir bei der Außenpolitik. Der Friedensnobelpreisträger Willy Brandt drängte die SPD, die UNO zu stärken und das internationale Recht zu beachten. In diesem Sinne hat sich auch Bundeskanzler Schröder jetzt in New York geäußert. Aber seiner bisherigen Außenpolitik fehlte dieser rote Faden. Der Jugoslawienkrieg hatte keine internationale Rechtsgrundlage. Auch deshalb bin ich als SPD-Vorsitzender zurückgetreten. Der Afghanistankrieg verstieß wegen der Flächenbombardierung afghanischer Städte und Dörfer gegen die Genfer Konventionen. Und der Irakkrieg war ein reiner Willkürakt der USA.
Erst während des Bundestagswahlkampfes 2002 stemmte sich Gerhard Schröder im UNO-Sicherheitsrat gegen einen Krieg, der von Bush und Blair mit Lügen begründet wurde.
Tatsächlich unterstützte Deutschland durch die Gewährung von Überflugrechten, den Schutz amerikanischer Einrichtungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik, die Stationierung der Spürpanzer in Kuwait, die Lieferung von Patriot-Raketen und die Beteiligung an Awacs-Einsätzen aus bündnispolitischen Erwägungen den Überfall. Mit der Begründung, dieser Krieg trete das internationale Recht mit Füßen, traten in England Robin Cook und Claire Short als Minister zurück. Wir lernen, sozialdemokratisch ist die Außenpolitik nur, wenn sie das internationale Recht beachtet und das Töten unschuldiger Zivilisten auch dann vermeidet, wenn die UNO Gewaltanwendung befürwortet.
In der Wirtschaftspolitik ist es die vorrangige Aufgabe der Sozialdemokraten die Arbeitslosigkeit abzubauen. Dieses Ziel hat die Regierung Schröder verfehlt. Warum? Weil sie aufgegeben hat, was sozialdemokratische Wirtschaftspolitik immer ausmachte. Fußend auf Keynes haben Sozialdemokraten in aller Welt, wie in Deutschland Karl Schiller und Helmut Schmidt, durch staatliches Gegensteuern die Massenarbeitslosigkeit bekämpft. Bundesfinanzminister Eichel hingegen erklärte, Keynes sei tot. Er wurde ein Opfer eines ehernen ökonomischen Gesetzes. Wer im Konjunkturtal spart, erntet immer höhere Arbeitslosigkeit und höhere Staatsschulden.
Eine gerechte Einkommensverteilung ist ein weiterer Eckpfeiler sozialdemokratischer Politik. Sie ist wegen ihrer nachfragestützenden Wirkung wirtschaftspolitisch vernünftig, vor allem aber ein Herzensanliegen der kleinen Leute. Im Gegensatz dazu wurden der Großindustrie 40 Milliarden Euro bei der Körperschaftssteuer erlassen, und für Spitzenverdiener werden trotz der exzessiven Managergehälter die Steuern gesenkt.
Gleichzeitig wurden soziale Leistungen gekürzt. Die Gesundheitsreform belastet die Versicherten mit 13 Milliarden Euro, während Ärzte, Apotheker und Pharmaindustrie nur mit 3,5 Milliarden Euro zur Kasse gebeten werden. Im Bündnis für Arbeit wurde nicht Gewinn-, sondern Lohnzurückhaltung vereinbart. Das ist wirtschaftspolitisch dumm und nach Meinung vieler Wähler das Gegenteil von sozial und demokratisch.
Der SPD-Mann in Berlin, der eine Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten in der SPD forderte, hat also voll ins Schwarze, pardon ins Rote getroffen.
OSKAR LAFONTAINE