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Archiv-Artikel

Wenn das Auge hinterlistig flattert

Hebt nicht ab: In „Flug des Pelikans“ kapituliert Benjamin Lebert hilflos vor dem Material

Wenn Fußballspieler mit Mitte dreißig ihre Karriere beenden, werden sie entweder Spielerberater oder eröffnen einen Sportbekleidungsladen in einer mitteldeutschen Kleinstadt. Was aus Autoren gleichen Alters wird, darüber ist bisher noch nicht nachgedacht worden. Sollte es aber. Denn dass aus der Überfülle der Debütanten, die in den vergangenen Jahren in den Literaturbetrieb gespült wurden, nicht eine geschlossene neue Generation von Schriftstellern werden wird, sollte langsam klar geworden sein.

Ein erstes Buch zu schreiben oder gar als Wunderkind gehandelt zu werden, ist eine Sache, Schriftsteller zu sein eine andere. Benjamin Lebert, der als 17-Jähriger mit seiner Internatsgeschichte „Crazy“ zum Kassenschlager und Liebling der Feuilletons avancierte und sogleich einen Vertrag über mehrere Bücher abschloss, ist das beste Beispiel hierfür. Nun hat er wieder mal eines dieser Bücher geschrieben. „Flug der Pelikane“ heißt es, und das Interessante an diesem Buch ist, dass man darin einen Einblick in den Lebert’schen Schreibprozess gleich mitgeliefert bekommt. Thema und Material zu finden ist bekanntlich erst mal das Schwerste. Hier findet der Erzähler, der unverkennbare Ähnlichkeit mit dem Autor hat, bei einem Besuch in New York einen Karton mit Zeitungsausschnitten über eine spektakuläre Flucht dreier Gefangener von der Gefängnisinsel Alcatraz, deren Ausgang bis heute ungewiss ist. Genug Material, um die Fantasie anregen zu lassen.

Diese Form der Selbstbespiegelung ist nichts Neues bei dem mittlerweile 27-jährigen Lebert. In seinem letzten Buch, „Kannst du“, ging es um einen jungen Bestsellerautor mit Burn-out-Syndrom, der eine Interrail-Tour unternimmt in der Hoffnung, Stoff und Kraft für ein neues Buch zu finden. Und noch etwas kann man bereits als eine Art kleiner Lebert’scher Tradition ausmachen: Die Mädchen oder jungen Frauen in seinen Büchern sind stets magersüchtig und/oder hysterisch. Im Fall von „Flug der Pelikane“ ist der Erzähler gerade von seiner Freundin, die er in der Psychiatrie kennengelernt hat, verlassen worden und fliegt, um sich abzulenken, nach New York. Hier arbeitet Anton, genannt Tony, im Imbiss seines Nennonkels Jimmy, stöbert nach Feierabend in ebenjenem Karton über die Alcatraz-Ausbrecher und malt sich mehr und mehr die mögliche Geschichte ihrer Flucht aus.

Gefangen sein, ausbrechen, ein neues Leben beginnen, das sind die Motive, die beide Erzählebenen miteinander verbinden sollen, die des einstigen Psychiatriepatientin Anton und die der legendären Alcatraz-Insassen. Dass das nicht recht gelingen mag, ist – um es kurz zu machen – den erzählerischen Qualitäten von Benjamin Lebert geschuldet, die hilflos vor dem Material kapitulieren. Zunächst mag man noch ganz putzig finden oder für höhere Ironie halten, wenn Lebert beispielsweise über einen der Ausbrecher schreibt, in seinen Augen sei „deutlich ein hinterlistiges, irres Flattern zu sehen“, über einen anderen, er wirke „sehr fröhlich und irgendwie hungrig nach dem Leben“. Aber je weiter man liest, desto weniger lässt sich leugnen, dass Lebert nicht nur pausenlos Belang- und Blödsinnigkeiten verkündet, sondern das noch dazu mit einer sprachlichen Unsicherheit, die fast schon erschütternd ist. „Ich hörte Schritte auf dem PVC-Boden und dann die Stimme von Schwester Cecilia, einer älteren Dame vom Pflegepersonal, die eine gerade hereinkommende Person begrüßte.“ Mehr ist zu diesem Buch nicht zu sagen. WIEBKE POROMBKA

Benjamin Lebert: „Flug der Pelikane“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, 186 S., 14,95 Euro