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Archiv-Artikel

Ein starker Mann bereut nicht

AUS NEW YORK MICHAEL STRECK

Es waren nur Augenblicke am Ende seiner Rede, die den Delegierten im Saal und den Zuschauern an den Bildschirmen in Erinnerung bleiben werden. Augenblicke aber, die den Unterschied bei der Wahlentscheidung der noch Unschlüssigen ausmachen machen könnten. George W. Bush sprach mit feuchten Augen über seine Begegnungen mit Familien getöteter Soldaten und die quälende Entscheidung zum Krieg. Der Präsident offenbarte eine unbekannte, sympathische Seite von sich. Ob geschauspielert oder nicht, darüber werden die Urteile je nach politischem Lager unterschiedlich ausfallen.

Kurz zuvor hatte der Mann, der da mitten unter den Delegierten stand – die Parteitagsregisseure hatten ihn geschickt auf einem runden Podest inmitten des Saales platziert – seinen Anhängern auch noch ungewohnte Selbstironie gezeigt, über sein schlechtes Englisch gescherzt und seine eigene Sturheit aufs Korn genommen. Auch das ein Treffer. Die Reflektion beschränkte sich jedoch auf persönliche Eigenarten und erreichte nicht seine Politik. Hier blieb alles beim Alten: Ich bereue nichts.

Bush war selbstbewusst, entspannt und setzte oft dieses schelmische und verwirrende Lächeln auf, das ihn sowohl in ernsten als auch in heiteren Momenten begleitet. Er konnte sich auf überwiegend positive Botschaften verlegen. Denn die grobe Arbeit war am Abend zuvor von Vizepräsident Dick Cheney und ausgerechnet einem Demokraten, Senator Zell Miller aus Georgia, erledigt worden. Cheney sprach Bushs Herausforderer John F. Kerry die Eignung für die Präsidentschaft ab und nannte ihn ein Risiko für die nationale Sicherheit. Er warf ihm Entscheidungsschwäche, Prinzipienlosigkeit und eine lange Liste von sicherheitspolitischen Fehleinschätzungen vor. Der wutschnaubende Miller, der mit seiner Partei gebrochen hat, aber nicht auszutreten gedenkt, warf Kerry vor, zwanzig Jahre lang in den großen Fragen von Sicherheit und Freiheit „irriger, schwächer und unklarer als jede andere Figur auf der nationalen Ebene“ gewesen zu sein. Die konservativen Medien frohlockten und brandmarkten Kerry, wie die New York Post, als „Aal in einer Schüssel mit Öl“.

„Kerry-Bashing“ bestimmte die Parteitagsreden der vier Tage. „Kerry“ war das meistbenutzte Wort, gefolgt von „Terror“ und „Krieg“, fand eine Zeitungsanalyse heraus. Im Vergleich: Die Demokraten sprachen auf ihrem Parteitag in Boston von „Jobs“, und „Terror“. In Bushs Rede dominierten jedoch die drei Wörter „Freiheit“, „Möglichkeit“ und „Sicherheit“. Die verwob er zu großen Ideen, meist ohne zu erzählen, wie er diese umzusetzen gedenke.

Der innenpolitische Teil seiner Rede erlebte die Wiederauferstehung des „mitfühlenden Konservativen“, als der er auf dem Nominierungsparteitag 2000 angetreten war, von dem jedoch in seiner Amtszeit nicht viel übrig blieb. Neben dem üblichen republikanischen Lockfutter – die Verstetigung von Steuersenkungen und weitere Deregulierung – versprach er eine radikale Vereinfachung des Steuersystems, Hilfen zum Kauf von Wohneigentum und bei der Existenzgründung sowie steuerliche Erleichterungen bei der Renten- und Gesundheitsversicherung bei gleichzeitigem Abbau des Haushaltsdefizits.

Außenpolitisch präsentierte er sich in bekannter Manier als prinzipientreuer und standfester Kriegspräsident, der weiterhin präventiv und unilateral handeln werde, wenn er es für richtig hält. Er verteidigte die Invasion im Irak und verglich sie mit der Befreiung Europas im Zweiten Weltkrieg. „Ich glaube an die transformatorische Kraft von Freiheit“, sagte er mit Blick auf den Irakkrieg und den erhofften Demokratisierungseffekt im Nahen Osten. Der weise Gebrauch unserer Stärke liege im Verbreiten von Freiheit. Zudem bemühte er in gewohnter Weise Amerikas historische Mission der Freiheitsverbreitung. Bush war milder im Ton, verkniff sich den Schnellschuss aus der Hüfte und das Raubeinige und folgte dem Rat seiner PR-Berater, weniger martialisch und mehr versöhnlich aufzutreten.

Im Grunde sieht er sich als Friedensfürst. Für seine Fans wird das zum Bild des Visionärs reichen. Franklin D. Roosevelt und Ronald Reagan hätten sich bei gleichen Gelegenheiten auch nicht mit Detailfragen herumgeschlagen, sagen sie. Ohnehin mögen Amerikaner gerne eine pathetische Rhetorik, die diffizilen Details der Politikgestaltung überlässt man dem fernen Washington. Seine Gegner jedoch werden ihm vorwerfen, er kneife vor den drängenden Problemen und verliere sich im abstrakten und weltfremden Raum. So ignorierte er Donnerstagnacht akute Krisenherde wie den Iran, Nordkorea, klammerte den Nahost-Konflikt völlig aus und erwähnte Ussama Bin Laden mit keinem Wort. Dieses beredte Schweigen – immerhin war seine Rede vom Erlebnis des 11. September und den Konsequenzen eingerahmt und bildeten die Terrorangriffe den Hintergrund für die „Revolution“ der US-Sicherheitspolitik – dürfte von der Opposition bis zur Wahl genüsslich gegeißelt werden.

Bush Rede diente dem Ziel, mit seiner „compassionate conservative philosophy“ dem Fernsehpublikum, vor allem den unentschlossenen Wählern, ein gemäßigtes Bild der Republikaner zu präsentieren. Anders als viele Delegierte im Madison Square Garden sind die meisten Amerikaner von radikalen Ideen eher abgeschreckt, selbst im Mittleren Westen und Süden, den konservativen Hochburgen. Wurden also auf der offiziellen Bühne moderate Töne angeschlagen, so ließ man in den Hinterzimmern und Hotelsalons die Maske fallen. Ungeschminkt forderten dann etwa die Freunde der christlichen Rechten ihren Anteil am Kuchen. Einer ihrer vehementesten Vertreter, Senator Sam Brownback aus Kansas, rief zum „Kulturkrieg“ gegen das ungläubige, liberale Amerika auf und wetterte gegen die strikte Trennung von Staat und Kirche.

Das Murren verwundert. Eigentlich hätte die christliche Rechte allen Grund zum Jubeln. Das Parteiprogramm entstammt überwiegend ihrer Feder. Und viele prominente Zentristen blieben dem Parteitag fern. So ließ sich Außenminister Colin Powell entschuldigen. Brent Scowcroft, ehemaliger Sicherheitsberater von Bush senior, gab lieber ein Interview in der New York Post, in dem er den Sohn dafür kritisierte kritisierte, in der Irakfrage überreagiert zu haben. Und James Baker, der einst gepriesene Architekt der Kriegskoalition gegen den Irak von 1991, hatte wichtige Termine.

Fragte man die Delegierten im Saal, überwiegend Vertreter des konservativen Flügels, weiß und männlich, schüttelten sie den Kopf über den zur Schau gestellten moderaten Habitus. „Ich bin konservativ, unserer Parteiprogramm ist konservativ, warum also all der Affentanz mit den Gemäßigten?“, sagte Cliff Stearns aus Florida noch zu Beginn des Parteitages. Am Ende war dann aber auch er durch die Reden von Bush und Cheney besänftigt: „War gut, dass Bush sich so klar gegen die Homoehe ausgesprochen hat.“ Nach dem obligatorischen Konfettiregen, Luftballons und Feuerwerk gaben sich alle zufrieden und siegessicher. „Ich glaube fest daran, dass wir gewinnen werden“, sagte John Meyers aus Colorado, der aber erst mal froh ist, wieder nach Hause zu reisen: „Die Proteste haben doch genervt.“

Vier Tage lang gehörten Demonstranten zum Stadtbild wie die gelben Taxi-Wagen. Insgesamt blieben die Proteste erstaunlich friedlich. Das lag sowohl an den zurückhaltenden Demonstranten als auch an der strengen Polizeiüberwachung. Dennoch wurden über 2.000 Leute festgenommen. „In ihrem Bemühen um ein hartes Durchgreifen hat die Polizei oft den Blick für legale und illegale Aktionen verloren“, rügte Christopher Dunn von der New Yorker „Civil Liberty Union“. Das Medienecho auf die vielfältigen Protestformen war landesweit schwach, da die Aktionen zu zersplittert waren und sich die Veranstalter, außer für die Großdemonstration am Sonntag, auf kein gemeinsames Motto einigen konnten oder wollten. Immerhin bleibt den Aktivisten der Trost, dass die Republikaner aufgrund fehlender Krawalle keinen Vorwand fanden, die Demokraten als Drahtzieher antipatriotischer Proteste zu denunzieren.

Mit dem Ende von Bushs Nominierungsshow sind die zentralen Themen für die verbleibenden zwei Monate Wahlkampf festgezurrt: Sicherheit, Antiterrorkampf und die Frage nach den besseren Führungsqualitäten der beiden Kandidaten. New York und die zuvor auf Ehrabschneiderei zielende TV-Kampagne von Vietnamveteranen gegen Kerry haben gezeigt, dass die Republikaner nichts unversucht lassen werden, Kerrys Glaubwürdigkeit zu zerstören. Vor ihm liegen doppelt anstrengende Tage. Er muss die Schlammschlacht abwehren und es endlich schaffen, seine Unnahbarkeit abzulegen. Denn Bush hat einen entscheidenden Vorteil, der im Saal unter den Delegierten zu spüren war: Er schafft es, ein emotionales Band herzustellen.

Vielleicht erhält Kerry ja Schützenhilfe von ganz oben. Ausgerechnet in Florida, dem wichtigsten „Swing State“, könnte Bushs nächtliche Anstrengung verpufft sein. Nur ein Lokalsender übertrug die Rede. Alle anderen widmeten sich dem aufziehenden Hurrikan „Frances“.